Berlinale, Tag 11 – Ende, aus, weitermachen

Schon wieder eine Berlinale vorbei. Das alljährliche Geschimpfe und Gejammmer, es scheint mir nachgelassen zu haben. Gut so! Ist doch eine tolle Sache, die Berlinale. Man möge sich nur mal vorstellen, es gäbe sie nicht – wir schließen die Augen und stellen uns vor: ein Leben ohne Berlinale – – – na, was sehen wir? Winter, Nieselregen und Traurigkeit! Das Berlinale-Genörgel vieler Kritiker scheint mir ähnlich beschaffen zu sein wie das Genörgel, das man oft in sogenannten Liebesbeziehungen findet. Ständig hat man was am Partner auszusetzen, eigentlich nervt er die ganze Zeit, aber warum trennt man sich dann nicht einfach? Nein, das wäre wirklich schrecklich.

Ist aber eh nur ein Kritikerproblem. Das Publikum findet die Berlinale einfach nur super. Heute ist Publikumstag. Der Publikumstag, könnte man denken, ist der einzige Tag, an dem Publikum reingelassen wird. Cannes könnte so einen Tag mal brauchen. In Berlin ist es aber einfach ein Extra-Tag für noch mehr Publikum, nachdem zehn Tage lang schon sehr viel Publikum da war. Man ist alle Jahre wieder geplättet angesichts der Menschenmassen, die sich in sperrigstes Kunstkino wälzen. Wurde schon viel drüber räsoniert. Habe nichts neues beizutragen. Ich will auch heute gar nichts neues gucken, sondern nur altes.

Und zwar als erstes: Es, Ulrich Schamoni, 1966, nach einer Vorlage von Stephen King. Meines Wissens der einzige Fall, in dem ein Roman 20 Jahre vor seinem Erscheinen verfilmt wurde. Entschuldigung, dieser Witz mußte endlich mal gemacht werden, der spukt seit auch mindestens 20 Jahren irgendwo herum. Witz beiseite, toller Film. Wirklich! Welch jugendliche Freiheit! Welch spielerische Verspieltheit! Was für ein eleganter Humor! Und trotzdem ganz nüchterner Ernst im Umgang mit dem Thema! Wieso hat das deutsche Kino nicht in diesem Stil weitergemacht? Übrigens auch ein merkwürdig schizophrener Film. Mann und Frau teilen Wohnung und Bett, ihr ganzes Leben, doch als sie schwanger ist, erzählt sie ihm nichts davon, den ganzen Film hindurch. Sie rennt von Arzt zu Arzt auf der Suche nach Abtreibungsgelegenheit. Er theoretisiert zum selben Thema, redet über Kinder und mutmaßt, wie es wäre, wenn. Das ganze vielleicht ein Symptom für die Beschaffenheit einer ganzen Generation: Theorie und Praxis schlafen in einem Bett, aber wenn es um die Wurst geht, haben sie sich nichts zu sagen. Das gemeinsam gezeugte Kind erblickt noch nicht mal das Licht der Welt, weil die Praxis es nicht haben will. So war das bei euch, ihr 68er.

Danach: Spur der Steine, Frank Beyer, DDR 1966. Den habe ich erstmals im Sommer 2000 gesehen, vorbereitenderweise für die Aufnahmeprüfung an der Babelsberger Filmhochschule. In der Münchner Stadtbibliothek gab es ganze vier Defa-Spielfilme auf VHS. Ich wollte ja mal wissen, wohin ich mich da begebe, also lieh ich sie aus und sah sie mir an. An Ort und Stelle, also in Babelsberg, war man dann einigermaßen beeindruckt. Ein junger Wessi, der in der Aufnahmeprüfung sagt: Ich hab mal einen Blick in eure Tradition geworfen, weil‘s mich interessiert hat. Und dann sagt er noch: Spur der Steine fand ich fantastisch. Vermutlich hat das den Ausschlag gegeben, den jungen Wessi zum Studium zuzulassen. So gesehen hätte ich meine gesamte Laufbahn diesem Film zu verdanken. Und es ist ein toller Film. Was für große, sehnsuchtsvolle Western-Cinemascope-Bilder, was für Schauspieler, was für Texte. Manfred Krug läßt so ungeniert die Sau raus, daß man ihn gleich heiraten will. Und überhaupt, ich will sofort mit diesen Männern und Frauen auf diese dreckige Baustelle in Sachsen und da den Sozialismus aufbauen und mein Feierabendbier trinken und morgens wieder anpacken. Aber am Ende verheddert er sich in Diskussionen und Debatten und auslaufenden Plot-Verästelungen, da geht die Energie ziemlich in den Keller, wenn nicht gerade der große Manfred Krug sie wieder hochzieht. Vielleicht auch dieser Film ein Symptom seiner Zeit und seines Landes: Gestartet mit den besten Absichten und großer Energie (und stalinistischer Leutevernichtung, okay), aber am Ende ist so die Luft raus, da wird nur noch ein Brief verlesen, in dem die weibliche Hauptfigur ungefähr sagt: Äh, Leute, ich mach woanders weiter.

Und dann noch: Berlin um die Ecke, Gerhard Klein, 1965. Inhaltlich dasselbe in grün: Konflikte am industriellen Arbeitsplatz. Überhaupt war die ganze DDR ein einziger Arbeitsplatz. Christian Petzold kann hochspannende Interviews geben. Ich könnte mich tagelang nur mit Christian-Petzold-Interviews beschäftigen und wäre ein glücklicher Leser. Gern würde ich jetzt eines verlinken, aber finde es nicht mehr, in dem er darauf hinweist, daß im DDR-Fernsehen, wenn man Volkes Stimme hören wollte, die Menschen typischerweise am Arbeitsplatz befragt wurden, in der BRD dagegen die Passanten in den Fußgängerzonen. Die DDR war von der Arbeit her gedacht, die BRD vom Konsum. Leider fällt mir der Konsum dieses Films aber deutlich schwerer als bei den vorigen beiden. Große Momente hat er, zwingend ist er nicht. Zu viel Defa-Holzschnitzarbeit für meinen Geschmack. Ist aber nur mein Geschmack. Aber dann immer diese Männer, die Frauen obsessiv hinterherlaufen! Männer, hört auf damit! Es bringt nix! Sei wie ein Hubschrauberpilot: Erkenne, wo du landen kannst. Und wo du nicht landen kannst, da versuche nicht zu landen, sonst wird es allenfalls eine Bruchlandung.

Wir werden in dieser Vorführung Zeuge, wie sich ein faszinierender Kreis schließt bzw. nicht schließt. Vor uns sitzt nämlich ein Mensch, der mit Nachnamen tatsächlich Defa heißt, also genauso wie das DDR-Filmstudio, der aber kein Wort vom Film versteht. Es handelt sich nämlich um den amerikanischen Filmemacher Dustin Defa. Der wollte sich mal einen Defa-Film angucken. Aber da der Film keine Untertitel hat, kann Defa mit dem Defa-Film beim besten Willen nix anfangen.

Und das ist jetzt ein Sinnbild genau wofür?
Verehrte Leser, ich sag‘s mit Brecht: Vorhang zu, Fragen offen.
Oder, wie die Sesamstraße es formulierte: Denkt euch selber mal was aus. Zum Beispiel das große, besinnliche Schlußwort, das ich jetzt hier nicht halte.

Weil heute Publikumstag ist, zum Schluß noch ein bedenkenswertes Zitat übers Publikum – ach nee, das gibt‘s morgen. Ich bin ja jetzt als Klatschkolumnistin so eine Art Social-Media-Schlampe geworden, da muß man seine Goodies häppchenweise unter die Crowd bringen, um die Follower bei der Stange zu halten, und nicht alles auf einmal rausballern (also anders als Hans Balla, der Brigadeführer aus Spur der Steine).

5 Responses to Berlinale, Tag 11 – Ende, aus, weitermachen

Schreibe einen Kommentar zu Apirugipem Antworten abbrechen

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

Diese Website verwendet Akismet, um Spam zu reduzieren. Erfahre mehr darüber, wie deine Kommentardaten verarbeitet werden.