Kritik der Kritik

„Der von guten Schauspielern getragene Film attackiert gesellschaftliche Doppelmoral sowie die ,Wiederholbarkeit von Geschichte‘, ohne sonderliche inszenatorische Dichte und dramaturgisches Geschick zu entwickeln. Die Gelegenheit zu einer überzeugenden und entlarvenden Satire bleibt weitgehend ungenutzt.“

Eines meiner liebsten Bücher heißt „Some Like it Not“ und ist eine Kompilation von Verrissen zu Filmklassikern. Die Botschaft ist klar: Kritiker schreiben oft auch ziemlichen Mist. Man kann es aber auch gegen den Strich lesen, dann lautet die Message: So manchen Klassiker kann man auch mal etwas niedriger hängen. Man kann es außerdem, drittens, einfach als Dokument lesen, wie sich mit der Zeit die Blickwinkel verändern. Und man kann sich viertens auf gar keine Seite schlagen, sondern einen Schritt zurücktreten und sozusagen meditativ den Diskurs betrachten, der kein Wahr und kein Falsch kennt,  sondern wo alle nur fortwährend fröhlich aufeinander eindreschen. Dieser Standpunkt ist mir eigentlich sogar von allen der liebste, denn Film ist Diskurs. Drehbücher entwickelt man diskursiv, Dreh und Schnitt sind diskursive Prozesse, auch die Interaktion eines Films mit dem Publikum funktioniert letzten Endes so. Nur ganz am Ende kommt dann der Kritiker, fällt sein Urteil und hat das letzte Wort. Diskurs beendet. Schon als ich selber noch Filme rezensiert habe, fand ich das eigentlich seltsam.

Seit gestern läuft mein neuer Film „Heil“ in den Kinos. Die Reaktionen sind gemischt. Das bedeutet keineswegs, daß sie alle ablehnend sind. Es gibt genügend, die loben, jubeln, preisen oder kritisch würdigen. Ich bin sowieso in der angenehmen Lage, daß der Film schon bei zwei Gelegenheiten (Karlovy Vary und Jerusalem) von internationalem Publikum begeistert aufgenommen wurde, aber ich war natürlich gespannt, was die deutsche Presse dazu sagt, und werde mich im folgenden kurz zu dem äußern, was sie so sagt. Es sind vor allem zwei Punkte: Einerseits ein paar merkwürdig überzogene Wutanfälle, andererseits Dinge, die überhaupt nicht wahrgenommen werden, und zwar nicht in der Interpretation oder Wertung, sondern schon in der Analyse, also beim Inhalt des Films.

Zunächst, wie gesagt, ein paar Verrisse, teils als Wutanfall, teils eher herablassend. Der Tenor ist meistens: Deppenkomödie, Nazis als Witzfiguren, höhö, Schenkelklopfer, tumbe Skinheads im Osten, platt, doof, billig. Diese Sichtweise erscheint mir zum einen sehr verengt – die Komik im Film bespielt eine deutlich größere Bandbreite als das, was da in den Vordergrund behauptet wird. Auch thematisch ist es verengt, der Film handelt nicht nur von Nazis und spielt auch überwiegend nicht im Osten, sondern an Orten und Nicht-Orten in ganz Deutschland – private Eliteuniversitäten, Fernsehstudios, Berlin, Autobahnraststätten, informelle Treffen von Adel, Geldadel, Wirtschaft und Politik und so weiter. Aber selbst wenn man sich auf diese verengte Sicht einläßt, erscheint mir dieser pauschale Ruf nach mehr Niveau immer noch sehr fragwürdig. Lachen ist eine physische Entladung. Laut einem bekannten Spruch gibt es auch keinen niveauvollen Orgasmus. Der vielgepriesene britische Humor ist ja auch keineswegs nur subtil und niveauvoll, sondern pflegt eben ein gleichberechtigtes Nebeneinander von Intellektualität und ausgesprochener Drastik. Und vor allem finde ich dieses pauschale Platt-Finden selber etwas platt. Im Sinne von: Ungenau. Machen wir doch mal ein Experiment und reden in genau diesem Tonfall über ein paar andere Filme, beispielsweise diesen:

Männer in Frauenkleidern treten einer Damenkapelle bei, höhö, ein alter Sack rafft nicht, daß seine Angebetete eigentlich ein Mann ist, harhar, ein Festival des Schenkelklopfens, und dann muß auch noch die Mafia für abgeschmackte Witze herhalten. (Im eingangs erwähnten Buch finden sich übrigens tatsächlich Rezensionen diesen Inhalts). Oder dieser: Die doofe Masse rennt einem armen Wicht hinterher und hält ihn für den Messias, alle schreien im Chor „wir sind alle Individuen“, harhar! Sind die dämlich! Ich schmeiß mich weg! Die Widerstandsgruppen sind heillos zerstritten! Witz aus der Mottenkiste! Und dann dieser eitel tabubrecherische Gestus – eine Komödie über Jesus – höhö! Der fällt dann auch noch zu Aliens in ein Schrottraumschiff, dem er dann endgültig als Messias entsteigt, platter geht‘s nicht, so kommt man dem Phänomen Religion nicht bei, da ist ja keinerlei Erkenntnisinteresse oder Hintersinn, nichts wird hinterfragt, nur Oberfläche, immer nur das Naheliegende. – Wie wir sehen, klappt das hervorragend. Komik ist nämlich immer kontaminiert. Aus diesem Blickwinkel darf man einfach gar keine Komödien machen (oder sollte keine gucken). Wir brauchen also präzisere Instrumente.

Denn es gibt ja wirklich eine Art von Komik, mit der ich selber nichts zu tun haben will. Es gibt genug deutsche (und französische, amerikanische, sonstige) Komödien, die ich selber als unerträglich platt empfinde. Andere sind wiederum brillant, beispielsweise „Bridesmaids“ (den man aber auch mit dem obigen Vokabular verdammen könnte). Komik ist eben nicht nur Geschmackssache, kann man da durchaus fundiert argumentieren, ich empfehle hier Robert Gernhardts gesammelte Humorkritik, in der er sich auch eingehend mit der Rezeption der von ihm mitverantworteten ersten „Otto“-Filme auseinandersetzt. Also, wo liegen die Qualitäten? Ich schlage mal vor: 1. im Detail, 2. im Material, 3. in einer gewissen Weltoffenheit sowie 4. in thematischer Geschlossenheit. Die Detailarbeit läßt sich kaum beziffern, aber wer nicht böswillig oder vernagelt ist, erkennt sie. Das Material ist dagegen klar erkennbar. Unsere Richtschnur war immer: Witze nur über Dinge, die Leute aus freiem Willen tun. Also keine Scherze über Hautfarbe, sexuelle Orientierung (Sacha Baron Cohens „Brüno“ fand ich schon gleich am Anfang unerträglich), Körperumfang etcetera. Es wäre z.B. wahnsinnig naheliegend gewesen, sich darüber lustig zu machen, daß der sehr ausladende Neonazi Kalle nicht durch die Luke des Panzers paßt, aber wir haben es gelassen und vieles andere auch. Weltoffenheit bedeutet, daß ein Film sich nicht nur auf andere Filme bezieht und Genre-Formeln wiederholt, sondern sich auch für die Dinge interessiert, die da draußen passieren (was z.B. eine Qualität von „Fack ju Göhte“ war). Und thematische Geschlossenheit heißt, daß man nicht wahllos alles abschießt, was einem so einfällt, sondern sich mit einem Thema befaßt und es zu durchdringen versucht. Bei „Bridesmaids“ war das der absurde amerikanische Kult um die Eheschließung. Hier ist es: Deutschland heute. – Diese vier Kriterien wären mal ein Versuch, Instrumente der genaueren Analyse zu entwickeln. Man kann bestimmt auch noch andere finden. Ich kann nur sagen, daß ich mich auf all diesen Gebieten redlich bemüht habe. Da hätte man den Film durchaus kritisch betrachten können, es ist garantiert nicht alles perfekt gelungen, vielleicht ist er sogar nach solch präziseren Kriterien total schlecht, aber einfach nur „platt“ zu schreien erscheint mir platt.

(Edit: Es gibt natürlich noch eine fünfte, ganz grundlegende Kategorie, und das ist das Spiel. Komödienstandard ist hier: Übertreibung, zappeln, grimassieren, dem Affen immer noch ein Stück Zucker geben. Wurde von mir hier alles weitestgehend unterbunden zugunsten von Understatement, alltagsnahem Tonfall, Tempo. Hat erfreulicherweise jemand gemerkt, von dem ich es nicht gedacht hätte, siehe Zitat ganz unten.)

Es gibt dann noch einige Rezensionen, die sich im Ton vergreifen und persönlich werden. Peter Körte argwöhnt in der FAS, ich selber sähe mich da als einzige Instanz mit Durchblick, was ich aber nicht tue, im Gegenteil, und Rainer Gansera giftet in der SZ in einem Tonfall, der sich eigentlich selbst kommentiert, allerdings nicht nur über den Film, sondern vor allem über den Regisseur. Ich kenne Rainer Gansera nicht persönlich, ich habe keine Rechnung mit ihm offen, über den Film soll er schreiben, was er will, aber wenn er mich so persönlich anpöbeln will, dann kann er das gern in gleicher Münze zurückbekommen: Ganseras Text liest sich wie das selbstgerechte Gekeife eines bedauernswerten alten Mannes im Park, der spielende Kinder anschreit und herumschimpft, daß früher alles besser war. Bitteschön. Gern geschehen. War ganz einfach.

Zugleich ist dieser Tonfall aber auch eine merkwürdige Bestätigung. Was mir nämlich seit geraumer Zeit auffällt, ist der grobe Ton, mit dem in diesem Land öffentliche Debatten geführt werden. Der deutsche Feuilletonist, persönlich meist feinsinnig und zurückhaltend, verwandelt sich zuweilen in eine Giftspritze, wenn er zur Feder greift. Im Internet hat sich das nochmal verschärft. Viele der Dialoge des Films wurden direkt davon beeinflußt, wie die Leute im Netz miteinander umspringen. Der „Rant“ (ein schriftlicher Wutanfall) ist mittlerweile eine etablierte Textgattung. Ich finde das problematisch. Ich könnte sogar sagen: Ich finde das strukturell faschistoid. Mache ich aber nicht, denn die Leute, die sich sprachlich so munitionieren, sind Teil des Problems. Aber daß ein Film, der das aufspießt, selbst dann wieder genau dasselbe Geschimpfe auslöst, gibt mir auf traurige Weise recht.

Der zweite große Punkt ist aber ein anderer. In Filmkritiken referiert man ja meist kurz die Handlung und versucht den Film zu beschreiben. Und da gibt es eine Sache, die anscheinend niemandem aufgefallen ist. Man liest da in den Kritiken, und auch in den lobenden kommt es gelegentlich als Einwand: Der Film schießt hemmungslos in alle Richtungen, weiß gar nicht so richtig, was er will, ist eine Nummernrevue, hat am Ende kein sinnvolles Fazit, teilt in alle Richtungen aus und landet keinen Treffer. Und das, mit Verlaub, stimmt nicht. Es ist nämlich eigentlich ganz einfach:

Eine Horde Nazis will in Polen einmarschieren und kriegt Hilfe aus allen Teilen der deutschen Bevölkerung.
Das ist der Plot.
Fertig.

Damit erledigt sich der Vorwurf der Nummernrevue – natürlich ist eine Komödie auch immer eine Nummernrevue, aber jede Szene bringt unsere Leute ihrem Ziel ein Stück näher. Und die Deutschen, die ihnen helfen, sind nicht alles insgeheim noch Nazispießer (manche schon), sondern zu sehr mit sich selbst und ihren zweieinhalb Ideen beschäftigt, an denen sie sich ängstlich festklammern. Oder sie haben keine inhaltlichen, aber strukturelle Gemeinsamkeiten mit den Faschos. Oder sie haben sich eigentlich gar nichts zuschulden kommen lassen, aber stehen für einen Teil der deutschen Seele, der mir erzählenswert erschien. Die zahllosen Figuren stehen also keineswegs beziehungs- und richtungslos nebeneinander, sondern haben jeweils einen Zweck. Witzfiguren sind sie nicht aus Jux und Dollerei, sondern darin, daß sie den Nazis Hilfestellung leisten oder sich ihnen nicht entgegenstellen. Und während all das passiert, läßt die Bundesregierung sich ein neues Logo für „Deutschland als Marke“ designen, das nach Nazischrift aussieht, was aber keinen stört.

Wie gesagt, das ist keine mögliche Interpretation, die ich gern irgendwie gelesen hätte, sondern es sind die handfesten Dinge, die im Film gut sichtbar stattfinden und ineinandergreifen. Was offenbar keiner erkennt. Auf etwas schräge Weise doppelt das sogar die Handlung des Films (Nazis wollen in Polen einmarschieren, aber keiner kriegt es mit). Vielleicht habe ich mir das selbst zuzuschreiben. Vielleicht passiert einfach zu viel. Aber eigentlich liegt die Handlung doch offen zutage, dachte ich.

Interpretieren kann man es dann natürlich immer noch, indem man zum Beispiel Polen als Platzhalter für Griechenland nimmt. Kritisieren könnte man es auch, man kann das falsch finden oder ungehörig oder als bodenlose Spekulation abtun. Aber dafür müßte man es erstmal erkennen. Selbst wenn man es nicht erkennt, sollte man aber die Gewichtung erkennen und mir nicht wahllose Gleichmacherei vorwerfen – die Rechten bereiten einen Krieg vor und bringen reihenweise Leute um, die Linken sind zu sehr mit Terminologiestreitigkeiten und Grabenkämpfen beschäftigt, um sich ihnen in den Weg zu stellen, was ja in der Weimarer Republik nicht ganz anders war. Ich würde den Film auch niemals als präzises, ausgewogenes Portrait eines Landes bezeichnen, genausowenig wie „Funny Games“ eine heitere Landhauskomödie ist. Nein, es ist einfach ein nihilistischer Film über Deutschland als Alptraum.

Und wo bleibt das Positive? Das Fazit? Die große Linie? Der Erkenntnisgewinn? Einige Kritiken scheinen mir auf diese Frage hinauszulaufen. Erkenntnis wird sogar irgendwo wörtlich gefordert. Aber im Alptraum gibt es nichts Positives, kein Fazit, keine Erkenntnis. Vielleicht nach dem Aufwachen. Aber die Idee, daß ein Film sein Fazit eben nur in der Negation enthält, als Leerstelle, als Frage im Kopf des Zuschauers, damit ist anscheinend nicht so leicht klarzukommen (solange der Film nicht von vornherein im salbungsvollen Gestus des Fragestellens daherkommt und dem Kritiker die Interpretation von Anfang an serviert).

Der Rest ist meist Geschmackssache, aber auch nicht nur. Hans-Georg Rodek behauptet in einem ansonsten halbwegs wohlwollenden Text der „Welt“, unser Film nehme anders als „Four Lions“ die Handlungen seiner Figuren nicht ernst, weswegen sie nicht sterben müßten. Da muß ich widersprechen, denn sie sterben bei uns auch, das ist nicht Geschmackssache, sondern im Film deutlich erkennbar. Der Chef erschießt seine eigenen Leute und hält gleich darauf eine Heldenrede auf sie. So funktioniert Krieg nun mal. Der Chef selber überlebt allerdings und haut den Zuschauer zum Abschied ins Gesicht, denn ich hätte es als extrem falsch empfunden, diesen Film mit einem Happy Ending zu beschließen, bei dem die Nazis besiegt sind.

Das kursive Zitat ganz oben bezieht sich übrigens nicht auf „Heil“, sondern stand 1992 über „Schtonk!“ im Filmdienst. Habe es nicht lange gesucht, man findet es auf Wikipedia. So ist es nun mal, das deutsche Feuilleton. Dem Humor prinzipiell aufgeschlossen (wenngleich er in der ganz hohen Kunst natürlich nix verloren hat), aber doch bitte mit etwas mehr Niveau und am Ende einer faßbaren Conclusio. So ist das nun mal in diesem Land, davon handelt der Film, und daß er das am Ende auch wieder hervorruft, liegt in der Natur der Sache, denn Film ist nun mal Diskurs.

Nachtrag: Nebenbei fiel mir noch auf, daß der Film in wirklich sämtlichen Rezensionen komplett auf seinen Inhalt reduziert wird. Nie ein Wort zu den Schauspielern, zur Ästhetik, zu Kamera und Schnitt, zur Musik, zum audiovisuellen Gesamteindruck. Es geht immer nur um das, was nacherzählt werden kann. Finde ich schade, war aber zu erwarten, das Thema selbst macht in den Köpfen alles andere platt.

Nachtrag 2: Die internationale Presse hat einen etwas anderen Blickwinkel. Tom Christie schreibt auf Indiewire: „It’s precisely the sort of comedy Germany needs, not that they will necessarily appreciate it.“

Nachtrag 3: Ekkehard Knörer war nach meinem Berliner-Schule-Brief sauer und lebte das in zwei wütenden Verrissen zu meinen darauffolgenden Filmen aus. Ich dachte, das geht jetzt immer so weiter, aber stattdessen überraschte er mich in einem Kommentar auf Facebook, den ich vor lauter Freude hiermit hierher kopiere und damit konserviere: „…ich habe viel gelacht, hat gute Witze, hat gute schlechte Witze, hat gut bei den Pythons geklaute Witze (Weit Bauer) und ein paar Rohrkrepierer hat er auch. Gegen Ende ist es noch am ehesten doof, weil da plötzlich zu viel Plot noch zuende gebracht werden muss. Toll aber, was er aus den Darstellern rausholt, die sprechen sehr nah am Leben und haben fast ausnahmslos ein verdammt gutes Timing und man muss ja nur andere deutsche Komödien sehen, um zu wissen, was das für eine Kunst ist. Ich verstehe auch die ganzen Kritiken, die Haltung vermissen, nicht wirklich. Ist doch mehr als klar, wogegen das geht, Dummheit ist leider die am besten verteilte Sache der Welt, da muss man auf allen Seiten voll auf die Zwölf gehen, das ist nur konsequent. Am Ende wünschen sich die, die Niveau und Haltung fordern, womöglich sowas wie die „Anstalt“ oder die „heute-show“, gruselig, da ist „Heil“ aber tausendmal besser. Und der beste Brüggemann-Film sowieso.“

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