Raus mit der Sprache

Vor drei Wochen war ich in der Jury des „Festival im Stadthafen“, abgekürzt FiSH, in Rostock. Es ist ein Nachwuchsfestival, was bedeutet, daß man dort gestandene Hochschulfilme genau wie hoffnungsvolle No-Budget-Fingerübungen zu sehen bekommt, zwischendrin aber gern auch mal psychedelische Barbiepuppen-Animationen von achtjährigen Mädchen. Die Atmosphäre war grandios, wir hatten zwei Tage lang einen Bombenspaß, was an dem ausgesprochen gut ausgesuchten Filmprogramm lag, aber auch an der Art, wie die Vorführungen organisiert sind. Pro Block laufen nur vier bis sechs Filme, die Macher sind fast alle anwesend, nach jedem Film gibt es ein ausführliches Gespräch mit dem Gast. Und was dann kommt, ist einzigartig und toll: Nach jedem Block setzt die Jury sich auf die Bühne und diskutiert über die Filme. Live und vor versammelter Menge. Man hat dafür nicht ewig Zeit, aber man nimmt sich die Zeit, die man braucht, um auf jeden Film einzugehen. Man ist automatisch nicht so fies, wie man im privaten Kreis doch oft über Filme spricht, man ist aber auch nicht so nett, wie man es unter vier Augen mit Filmemachern ist. Man findet ganz von selbst den richtigen Ton. Man reißt sich zusammen und kommt auf den Punkt. Man hantiert auch mal mit widerstreitenden Meinungen, ohne daß die Kommunikation abreißt. Ich halte dieses Vorgehen für schlichtweg großartig, meinetwegen könnte es sich auch in der restlichen Festivalwelt verbreiten, denn auf einmal merkt man, wie aufgeblasen eigentlich das übliche Prozedere mit der hochkarätig besetzten Fachjury ist, die sich zur Beratung zurückzieht und dann ihren Ratschluß vom Himmel flattern läßt.

Denn, um es mal umgekehrt zu denken: Was spricht denn eigentlich dafür, die Beratung einer Jury nicht öffentlich zu machen? Was sollte daran geheim sein? Warum und wieso? Geheimhaltung weckt immer den Verdacht, daß jemand etwas zu verbergen hat. Das ist aber bei Jurysitzungen nicht der Fall, oder wenn doch jemand etwas zu verbergen hat, beispielsweise eine persönliche Ab- oder Zuneigung zu irgendeinem Wettbewerbsteilnehmer, dann tut er besser daran, es auch in einer geschlossenen Jurysitzung zu verbergen. Ich war schon in allerhand Jurys, man diskutiert dort immer sehr ernsthaft und sorgfältig, aber ich habe bisher in keiner Jury etwas erlebt, das nicht auch öffentlich hätte stattfinden können. Und andererseits ist es ja ein bekanntes Phänomen, daß Jurys oft entweder wahnsinnig vorhersagbare Urteile fällen (indem beispielsweise in Ludwigshafen derjenige Berliner-Schule-Film gewinnt, der in Berlin nichts gekriegt hat) oder aber solche, die wirklich kein Schwein nachvollziehen kann. Wer weiß, ob sich das bei öffentlicher Diskussion ändern würde, aber ich fände es wirklich rasend interessant, mitzuerleben, wie solche Entscheidungen entstehen. Natürlich hätte jedes Jurymitglied Bammel, am Ende öffentlich gegen Leute zu stimmen, die man persönlich kennt und vielleicht sogar mag – aber es würde zwangsläufig passieren, und das würde dann nach einer Weile zu einem Sportsgeist führen, der unserem Metier mit seinen zahlreichen großformatigen Egos mal ganz gut zu Gesicht stünde.

Daher fordere ich hiermit: Schafft ein, zwei, viele Rostock! Macht öffentliche Jurysitzungen! Von Biberach bis Toronto, von San Sebastian bis Cannes! Die Idee ist natürlich total utopisch, aber das Durchdenken von utopischen Szenarien gehört ja zum Berufsbild des Filmemachers. Was würde passieren? Es gäbe wütende Proteste, alle möglichen Mahner und Bedenkenträger und Wächter der Kunst würden ihre mahnende Stimme erheben, aber ich werde den Verdacht nicht los, daß es am Ende gut wäre.

Hier wäre dann noch der Trailer für einen wirklich umwerfenden Animationsfilm, den es in Rostock zu sehen gab.

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