Seit einigen Tagen behaupten zwei Filmemacher aus Leipzig, mein neuer Film „Heil“ beruhte auf einer Idee, die ich ihnen geklaut hätte. Sie haben es nicht für nötig gehalten, sich erstmal bei mir oder den Produzenten zu melden, sondern sind damit gleich an die Öffentlichkeit gegangen. Ich habe ihnen soeben eine Mail geschrieben, und die veröffentliche ich jetzt auch. Hier wäre sie.
Hallo!
Ich mache jetzt mal das, was ihr nicht gemacht habt, und nehme direkten Kontakt auf.
Ihr seid also der Meinung, ich hätte eure Idee geklaut.
Wieso schreibt ihr uns dann nicht erstmal persönlich an, sondern geht stattdessen gleich zur Bildzeitung und ruft auf Facebook zum Shitstorm auf? Wenn ich den Verdacht hätte, daß mir eine Idee geklaut worden sei, dann würde ich das jedenfalls nicht so machen.
Aber erstmal zu den Fakten: Ich hatte von eurem Film bis gestern noch nie gehört. Auch nicht von dem Kurzfilm. Sorry. Eure Kampagne ging 2013 online. Wir haben unsere Idee seit 2012 entwickelt (was wir auch nachweisen können). Wir haben also parallel daran gearbeitet. Wenn mir jetzt jemand sagen würde: Dietrich! Da ist ein Film mit einer ganz ähnlichen Handlung! Die haben bei dir geklaut! – dann würde ich mir keine großen Gedanken machen. Und wenn ihr jetzt sagt: Hey, das ist so eine krasse Übereinstimmung – das ist OFFENSICHTLICH geklaut! – dann sage ich: Nein. Sowas kann tatsächlich passieren. Die Wahrheit ist nämlich: Die Idee ist nicht besonders originell. Weder eure noch meine. So etwas hat es in diversen Abwandlungen immer wieder gegeben. Ob es der schwarze Nazi bei Dave Chapelle ist oder der deutsche Film „Leroy“ von 2007, in dem ein schwarzer Junge sich in ein Mädchen verliebt, das aus einer Nazifamilie kommt und vier Skinhead-Brüder hat. Es geht immer um Gegensätze, die direkt aufeinanderprallen, entweder inmitten einer Person oder halt in einer engen Beziehung. Sowas kann man sich dutzendweise ausdenken. Ein paar Beispiele gefällig? Voila:
-Ein schwarzer Schauspieler, der wegen seiner Hautfarbe wenig Engagements beim Film hat, muß in einem Hörspiel Adolf Hitler sprechen und steigert sich so in die Rolle hinein, daß er am Ende glaubt, er wäre selbst Hitler.
-Eine Nazi geht in ein Dunkelrestaurant, verliebt sich in die Kellnerin, von der er immer nur die Stimme hört, und geht immer wieder in das Restaurant. Als er sie endlich bei Tageslicht sieht, ist sie schwarz. Oder ersatzweise: Radiosprecherin statt Dunkelrestaurantkellnerin.
-Ein Nazi bekommt bei einer Herztransplantation das Herz eines Schwarzen, stürzt in eine Identitätskrise und ist am Ende geläutert. Dann versagt das Herz, er bekommt ein neues, diesmal von einem Nazi, und alles ist wieder beim alten.
-Ein Schwarzer bekommt bei einer Herztransplantation das Herz eines Nazis und stellt auf einmal fest, daß er selber fremdenfeindliche Anwandlungen entwickelt und eine unkontrollierbare Tendenz zum Hitlergruß hat. Er macht das beste daraus, geht nach Afrika und wird Warlord.
-Ein Nazi und ein Schwarzer kriegen einen Stromschlag und erwachen im Körper des jeweils anderen. Der Nazi macht (als fremdenfeindlicher Schwarzer) große Medienkarriere, währen der Schwarze (als Nazi) verzweifelt die Wahrheit erzählen will, die ihm natürlich keiner glaubt.
Fünfeinhalb wahnsinnig originelle Ideen! Habe ich mir allesamt gerade ausgedacht! Hat mich fünfeinhalb Minuten gekostet. Die könnt ihr mir gern alle sofort klauen. Aber soll ich euch was verraten? Ich finde die alle gar nicht so originell. Ebensowenig wie eure oder meine. Meine ist nämlich uralt und tatsächlich nicht von mir: Jemand bekommt einen Schlag auf den Kopf, verliert daraufhin sein Gedächtnis und plappert alles nach. Dann kriegt er einen zweiten Schlag, und schlagartig ist sein Gedächtnis wieder da. Und beim nächsten Schlag wieder weg. Und so weiter. Das ist nicht euer Plot, oder? Wäre ja auch egal, es ist einer der ältesten Slapstick-Witze. Ich weiß nicht, ob ich das bei Laurel & Hardy geklaut habe oder bei Micky Maus oder Asterix oder Pumuckl oder Didi & Stulle, oder wo die das jeweils geklaut haben. Das ist geradezu provokant dämlich und garantiert keine alleinige Basis für einen Film. Die steckt nämlich in der Ausarbeitung und in der Welt, die man erschafft. Ich glaube, das wißt ihr so gut wie ich.
All das wird vielleicht in unserem Trailer nicht so klar. Aber wenn man die beiden Filme nebeneinander sieht (oder vielleicht besser nacheinander), bin ich ganz zuversichtlich, daß da von dem Vorwurf nicht viel übrigbleiben wird, weil sie eben einfach sehr unterschiedlich sein werden. Der eine ist nämlich von euch und der andere von mir.
Als ich 2012 mit meinem Projekt anfing, wußte ich aus Gesprächen mit anderen Filmleuten, daß diverse Projekte unterwegs sind, die irgendwie ähnlich gelagert sind – meistens mit direkt aufeinanderprallenden Gegensätzen, siehe oben. Die Zeit war anscheinend reif für so etwas, aber die Ideen, von denen ich hörte (eure war wie gesagt nicht dabei), die fand ich alles nicht so wahnsinnig sensationell. Was mich an meinem Film viel mehr interessiert hat, war ein Rundumschlag, in dem ganz Deutschland links und rechts geohrfeigt wird. Sowas hatte es noch nicht gegeben. Travestiespiele mit Gegensätzen dagegen genügend. Als Aufhänger für unsere figurenreiche Geschichte war es wunderbar, vor allem auch in der unschuldigen Chaos-Freude, die unsere gedächtnislose Hauptfigur im Film versprüht, aber das, was mich darüberhinaus vor allem interessierte, war eine hemmungslose Gesellschaftssatire. Und deswegen würde ich mich nicht groß aufregen, wenn mir jetzt jemand die Grundidee klauen würde. Auf die bilde ich mir nämlich kein Urheberrecht ein. Gedächtnisverlust ist erstens Comedy-Allgemeingut, eine willenlose Marionettenfigur als Sprachrohr eines Bösewichts ist zweitens auch nicht neu, und der Schlag auf den Kopf, ausgeführt von Nazis, ist drittens leider bittere Realität. Jeder nimmt seine Bausteine irgendwoanders her. Ihr auch. Also hört doch bitte auch mal auf, euch allein auf euren Plot (der sowieso mit meinem nicht identisch ist) so viel einzubilden. Wenn ihr einen tollen Film daraus gemacht habt, dann um so besser, den kann euch dann nämlich sowieso keiner klauen.
Und hört bitte auch auf mit dieser dämlichen David-gegen-Goliath-Nummer, so als wären wir hier das Imperium unter Vorsitz von Darth Vader und ihr das gallische Dorf. Produktionsfirma und Verleih sind mittelständische Unternehmen, also keine Ein-Mann-Buden, aber alles andere als böse Riesenmedienkonzerne. Ich selber mache seit 1997 Filme, habe mich am Set hochgearbeitet, an allen Filmhochschulen beworben, wurde irgendwann genommen, habe zum Geldverdienen nebenher als Regieassistent bei Musikvideos gearbeitet und mich da anschnauzen lassen, dann irgendwann meinen ersten Langfilm für fast kein Geld gedreht, jahrelang am Drehbuch für den nächsten geschraubt, den dann irgendwie gedreht, bis letztes Jahr in WGs gewohnt, weil’s halt billiger war und die Kunst wichtiger ist als das Geld. Und so weiter. All meine Filme und Musikvideos und alles andere, was ich sonst so mache, denke ich mir selbst aus, weil mir nämlich selber schon genug einfällt und ich es verdammt nochmal nicht nötig habe, irgendjemand irgendwelche Ideen zu klauen. Schon gar nicht, wenn sie eher so mitteloriginell sind.
Und daß ihr es nicht hinkriegt, uns einfach mal eine nette Nachricht zu schreiben, sondern gleich zur Bildzeitung geht und dann noch einen Online-Mob zusammentrommelt, darüber komme ich irgendwie nicht hinweg. Ich hätte gedacht, so unabhängige Filmemacher aus Leipzig, die mit wahnsinnig viel Einsatz ihre Sache machen, denen grundsätzlich erstmal meine Sympathie gehört, die eigentlich auf meiner Seite stehen, die wären nicht so drauf. Man könnte doch mal miteinander reden, anstatt gleich öffentlich aufeinander einzuprügeln. Wir werden euch jetzt, zumindest wenn es nach mir geht, nicht den Gefallen tun und öffentlich zurückprügeln mit irgendwelchen Unterlassungserklärungen oder dergleichen, die ihr dann triumphierend in die Höhe halten könnt (das ist allerdings nicht meine private Entscheidung, sondern liegt bei Produktion und Verleih.) Wir halten aber auf alle Fälle mehr davon, offen miteinander zu sprechen. Öffentliches Mobbing (und vorher noch nicht mal versuchen, miteinander zu reden) ist eine Methode, die ich ziemlich nuancenlos scheiße finde.
Zum Abschluß eine Geschichte: Als der amerikanische Autor Vince Gilligan ein Serien-Pitch geschrieben hatte, in dem ein unbescholtener Mann zum Drogenboss wird, erfuhr er, daß genau dasselbe in England schon in Entwicklung war. Nur mit einer Frau als Hauptfigur. Im Nachhinein war er froh, daß er nicht schon früher davon erfahren hatte, denn sonst hätte er sein Projekt vielleicht gar nicht weiterverfolgt. Was dann doch sehr schade gewesen wäre, das britische Projekt war nämlich „Weeds“, und seines hieß „Breaking Bad“. Was lernen wir daraus? Zwei Ideen können auf dem Blatt noch so ähnlich aussehen, in zwei verschiedenen Köpfen werden trotzdem immer zwei ganz verschiedene Sachen daraus.
Insofern wünsche ich euch trotz eures suboptimalen Kommunikationsverhaltens viel Erfolg, und uns auch. Das sollte problemlos beides möglich sein.
Beste Grüße
Dietrich Brüggemann
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