Kürzlich kopierte ich einen Beitrag von X-ehemals-Twitter, in dem sich jemand anläßlich der jüngsten AfD-Wahlerfolgen Gedanken zum Umgang mit selbiger machte, und teilte ihn auf Facebook. Es folgten rege Diskussionen, wobei ich die Kommentare auf Facebook nie besonders gewissenhaft verfolge, und danach machte ich mir selber nochmal ein paar Gedanken zum Thema. Hier sind sie.
Es ging (wie gesagt) um den Umgang mit der AfD.
Geschrieben hatte das jemand, dem die ritualisierte Anti-Nazi-Empörungspose der letzten Jahre zunehmend sauer aufstieß.
Wenn man fertig ist mit Empören und kurz Luft holt, wird man nämlich mit Blick auf die Wahlergebnisse feststellen, dass Demos und Omas und sonstwas gegen Rechts am Ende nichts bewirken. Eher im Gegenteil. Das ganze sieht mir immer mehr aus wie ein abgekartetes Spiel, bei dem die Rollen und Interaktionen von vornherein feststehen. Im Theater ist das sehr schön, in der Realität ermüdend. Oder wollt ihr das selber? Eure immergleiche Rolle in einer Tragikomödie spielen, bei der man den Ausgang sowieso schon kennt? Riesengroße Demo gegen rechts, und dann gewinnt die AfD?
Man kann bei allem, was man tut, zwei Fragen stellen:
–Ist es moralisch geboten?
–Bewirkt es das, was ich bewirken will (also Gutes)?
Gesinnungs- bzw. Verantwortungsethik nennt sich das. Den Deutschen wird oft nachgesagt, sie neigten zu ersterem. Mag sein. Ich bevorzuge letzteres, denn die schönste Gesinnung nützt nichts, wenn ich am Ende damit nichts oder sogar Schlimmes bewirke.
Im konkreten Fall (AfD) kann man also immer lauter und immer schriller „Nazis!“ schreien und immer steilere historische Vergleiche bringen, man kriegt dafür garantiert Applaus von der eigenen Bubble, man ist „aufrecht“ und zeigt „Haltung“ (ironischerweise zwei Wörter mit einer stolzen rechten Tradition), aber wenn die vermeintlichen oder echten Nazis dann trotzdem Wahlen gewinnen, dann sollte man vielleicht das eigene Handeln kritisch hinterfragen. Und auch die eigene Gesinnung und auch das eigene Verhältnis zur Idee von Demokratie. Letztere ist nämlich, dass die Staatsgewalt vom Volke ausgeht, das seinen Willen in Wahlen und Abstimmungen kundtut. Was wäre denn, wenn eine signifikanter Anteil der Leute nun mal Sachen will, die ihr schlimm findet? Beispielsweise weniger CO2-fokussierte Klimapolitik, strenger kontrollierte Migration und kritische Aufarbeitung der Corona-Crazytimes? Sind das alles Nazithemen, die man nicht mit der Feuerzange anfassen darf? Wollt ihr die Wähler, die das wollen, also alle verbieten? Ausbürgern? Einsperren? Oder was genau ist eure demokratische Idee dazu?
Mehr Aufklärung?
(Wenn ja: Wann habt ihr das letzte Mal eure Meinung fundamental geändert, weil jemand euch erst beschimpft und dann „aufgeklärt“ hat?)
(Und Einsperren wolltet ihr Ungeimpfte ja sowieso schon, das wäre also gar nicht so weit hergeholt.)
Zu ersterem, also zur Gesinnung: In ganz Europa sind sogenannte rechtspopulistische Bewegungen im Aufwind. In vielen Ländern sind sie deutlich stärker als bei uns. Das ist ein Phänomen unserer Zeit, das meines unmaßgeblichen Erachtens damit zu tun hat, dass Regierungen in allen westlichen Ländern in ihren Entscheidungen seit Jahrzehnten nicht die Interessen des kleinen Mannes bedienen, sondern ausschließlich (!) die von Reichen und Konzernen. Das ist empirisch belegt. Und man merkt es im Alltag: Bis irgendwann in die 80er oder 90er wurde das meiste im Leben immer einfacher, bequemer und preiswerter. Diese Entwicklung kam irgendwann zum Stillstand, und seitdem wird es immer komplizierter, anstrengender und teurer. Das, was einem erzählt wird, läßt sich immer weniger mit der eigenen Lebensrealität in Deckung bringen. Unvornehm ausgedrückt: Man fühlt sich verarscht. (Die Politik wäscht ja gern ihre Hände in Unschuld, das sind hochkomplexe globale Prozesse, da läßt sich leider überhaupt nichts machen, aber das halte ich für, Verzeihung, Bullshit. Die Politik könnte so einiges, wenn sie wollte, aber Geld regiert nun mal die Welt, altes linkes Lieblingsthema, isso.)
Gleichzeitig sitzt in den Großstädten eine saturierte Bürgerschicht auf gut bezahlten Jobs (und zwar sehr oft öffentliche Hand/Ö.-R. Medien/Stiftungen/NGOs/etc.), produziert dort im Grunde nichts als Ideologie und erfreut sich der alleinigen Deutungshoheit über das Weltgeschehen. Außerdem besitzt diese Schicht die Allzweck-Wunderwaffe, um jeglichen Dissens zum Schweigen zu bringen: Den Nazi-Vorwurf. Wer nicht unserer Meinung ist, der ist rechts. Und das klappt in Deutschland natürlich besonders gut.
Wir sind hier aber nicht in der Weimarer Republik, die unter Kriegsschuld und Reparationen und Nationalismus ächzte und nie eine Chance hatte. Eure schöne Anti-Nazi-Gesinnung will euch keiner wegnehmen, aber sie ist schlicht nicht das geeignete Werkzeug, um den heutigen Rechtspopulismus zu verstehen oder zu bekämpfen. Und das ständige Gleichsetzen aller möglicher Sachen, die euch nicht passen, mit historischen Naziverbrechern – dieses Schwert wird immer stumpfer.
Nochmal zum Mitschreiben:
ES NUTZT SICH AB.
Und ich kann euch auch genau sagen, wann dieser Bogen überspannt wurde: Im Frühjahr 2020.
Ich muß das nicht alles nochmal aufrollen, aber wenn auf einmal elementare Grundrechte einkassiert werden, der Staat mit beispielloser Härte durchregiert und jeder, der Zweifel äußert oder gar dagegen ist, als „rechts“ diffamiert wird, dann stimmt da etwas ganz gewaltig nicht. Mir konnte bis heute keiner erklären, was daran inhaltlich rechts gewesen sein soll, die Corona-Maßnahmen zu hinterfragen. (Die AfD war ja übrigens im Januar/Februar, als alle anderen noch abgewiegelt haben, sehr FÜR Maßnahmen und schwenkte dann um 180°.) Im Nachhinein stellt sich immer mehr heraus, dass die Maßnahmen möglicherweise zur Gänze sinnlos waren, zumindest aber nicht wissenschaftlich geboten, sondern politisch gewollt, siehe RKI-Protokolle (und Schweden hat ohne Maßnahmen weniger Sterblichkeit als Deutschland etc. etc. etc. an nauseam).
Wenn das nun so ist und Maßnahmenkritik tatsächlich “rechts” gewesen wäre – dann hätten die Rechten ja recht gehabt! Oh Gott! Oh Schreck! Kann also nicht sein. Zumindest wenn man sich den Kopf, der ja rund ist, damit das Denken die Richtung ändern kann, in ein viereckiges Betongefängnis eingemauert hat.
Oder war Maßnahmenkritik am Ende doch nicht rechts und auch nicht links, sondern einfach sinnvoll und oft berechtigt?
Hätte man dann Leuten fälschlicherweise den Maximalvorwurf an den Kopf geworfen?
Das wäre ein bißchen doof, oder?
Daher: Es ist vorbei. Ich habe den maximalen Shitstorm mitverursacht und überlebt, ich bin immer noch da, ich würde es wieder tun, denn es war sehr berechtigt, und es war ungefähr so “rechts” wie Pumuckl oder der Weihnachtsmann. Wenn jetzt mal wieder irgendwer ankommt und Geschrei macht, weil ich Gemüse anbaue oder Papierflieger falte oder irgendwas auf Facebook schreibe und angeblich deswegen “rechts” bin, dann kann ich mich nur noch totlachen. Fuck off. Die Masche zieht nicht mehr. Komm mir gefälligst inhaltlich oder zieh Leine, du Fascho.
Genug davon und noch zu etwas anderem. Ich habe vor bald zehn Jahren den Film “Heil” gedreht. Er handelte von zwei Dingen: Nazis und den übrigen Deutschen. Ich hatte nämlich schon immer das Gefühl, dass eine NS-Aufarbeitung, die sich nur um “Gedankengut” dreht, zu kurz greift. Inhalte sind nämlich leicht austauschbar. Und ich beobachtete schon damals seit geraumer Zeit, dass auch Linke und Halblinke und alle möglichen Leute sich vor allem im Internet in einer Weise aufführten, die mich sehr unangenehm berührte. Es ging immer gleich an die Person, es wurde immer gleich mit Bloßstellung und Vernichtung der Existenz gedroht, man war immer ganz und gar im Recht. Genug Material für einen Film, der dann leider immer aktueller wurde.
So wie es Gesinnungs- und Verantwortungsethik gibt, so gibt es in der Kommunikation die Sach- und die Beziehungsebene. Es gibt den Inhalt und die Struktur. Wenn ich dich ins Gesicht schlage, weil da eine Mücke sitzt, die eine tödliche Krankheit überträgt, dann habe ich dir damit vielleicht das Leben gerettet. Das wäre die Sachebene. Sie kann stimmen oder nicht. Es bleibt die strukturelle, die Beziehungsebene: Ich habe dich ins Gesicht geschlagen. Das ist erstmal so.
Sehr viele Menschen haben die letzten Jahre als einen fortwährenden Schlag ins Gesicht erempfunden. Die Struktur dessen, was da geschehen ist, war eindeutig und bekannt von autoritären Regimes: Ausgangssperren, Kontaktverbote, Überwachung, Strafen, Drohungen, Zugangsbeschränkungen, Ausweispflicht und so weiter. Das hat objektiv stattgefunden. Auf der Sachebene wurde es legitimiert mit der Erzählung vom tödlichen Virus. Ich finde es immer noch bemerkenswert, dass für viele Leute diese Erzählung ausreicht, um all die obengenannten Dinge komplett zu neutralisieren. Da kann die Polizei noch so sehr auf wehrlose ältere Damen einprügeln, die das Grundgesetz in die Höhe halten – es ist für den guten Zweck und gegen das Virus und außerdem gegen Rechts. So geht Gesinnungsethik.
Und so bringt man die AfD zu Wahlerfolgen. Das war zumindest mein erster Gedanke. Ich habe 2013, als noch niemand von “Willkommenskultur” sprach, warme Klamotten eingesammelt und eigenhändig in Erstaufnahmestellen gefahren. Es ergab sich, weil eine iranische Freundin dort dolmetschte und von allgemeinem Mangel berichtete, also tat ich etwas (und das war dann wohl Verantwortungsethik). Ich dachte 2015 trotzdem: Könnt ihr ja machen, aber dann habt ihr halt bei der nächsten Wahl 15% AfD im Bundestag. So kam es dann auch. Und ich dachte 2020, als der Corona-Wahnsinn losbrach: Könnt ihr ja machen, aber dann werden es halt 20% AfD. Da lag ich zunächst falsch. Könnte aber noch passieren. (Die iranische Freundin wurde dann übrigens auch scharfe Maßnahmenkritikerin und sieht die derzeitige Migration mit gemischten Gefühlen.)
Die interessante Frage ist also nicht die, wie gesichert oder ungesichert rechtsextrem die AfD ist (na sicher findet man da üble Neonazis), sondern was für Anliegen es sind, die zu diesen Wahlergebnissen führen, und ob diese Anliegen per se unredlich sind, und warum keine andere Partei sich dazu herbeiläßt, diese Lücke zu schließen. Und ich frage mich mehr und mehr, was aus einer Gesellschaft werden soll, die sich den Kopf immer mehr zumauert. Auf allen Gebieten, ob Umwelt-, Gesellschafts-, Verkehrs-, Migrations- oder Gesundheitspolitik, gibt es im Grunde nur eine Haltung, die man einnehmen muß, wenn man nicht vom Polit-Medien-Literaturbetriebs-Feuilleton-Musikbranchen-Öffentliche-Meinungszirkus als “rechtslastig” benaserümpft werden will. Gleichzeitig wird der Widerspruch immer lautstärker und ärgert die Mächtigen immer mehr, was man z.b. daran sieht, dass die Grünen jetzt die Plattform, die ich immer noch Twitter nenne, gern verbieten möchten. Und in persönlichen Gesprächen merkt man immer mehr, dass viele Leute die Augen verdrehen und es ihnen irgendwann einfach egal ist, ob sie jetzt als “rechts” gelten. Mir zumindest ist es seit geraumer Zeit völlig egal, denn dieser Vorwurf hat mit Corona jegliche inhaltliche Berechtigung eingebüßt. Die Bruchstelle ist und bleibt diese Zeit, die ich weiterhin als Massenhysterie bezeichne und deren rückblickende Einschätzung sich allmählich doch immer mehr dem annähert, was ich weiterhin als Vernunft bezeichne. Da aber andererseits die kollektive Betonköpfigkeit gerade in diesem Punkt unermeßlich zu sein scheint, habe ich keine Ahnung, wie das weitergehen soll und was als nächstes kommt, außer weiteren Wahlerfolgen der AfD mit entsprechender medialer Begleitmusik, aber dazu habe ich jetzt wirklich genug gesagt.
(Ganz nebenbei noch: Völlig unklar ist ja generell die Frage, wie sehr der Verfassungsschutz eigentlich bei politischen Bewegungen, die der Staatsmacht gefährlich werden könnten, unter falscher Flagge selbst aktiv wird. Erwiesen, aber nicht wirklich aufgearbeitet ist das bei den 68ern: Peter Urbach, der die Studenten seinerzeit mit Waffen versorgte und zur Springer-Schlacht die Molotowcocktails mitbrachte, war ein V-Mann. Der Staat hat sich seine Feinde also selber inszeniert, um dann draufhauen zu können. Das „Celler Loch“ gehörte in dieselbe Kategorie. Aber auch bei rechten Parteien sind bekanntlich jede Menge V-Leute, man erinnere sich nur daran, woran das NPD-Verbotsverfahren scheiterte, und es wäre völlig naiv zu glauben, dass nicht auch bei der AfD genügend Verfassungsschutzagenten sitzen. Beeindruckend ist auch die Geschichte eines Mitgliedes der damaligen „Republikaner“, der sich immer mehr radikalisierte, irgendwann ein schneidiges Interview im „Playboy“ gab und die Demokratie in Frage stellte, später dann ein Rechtsrocklabel gründete und anscheinend die ganze Zeit beim Verfassungsschutz war (wobei die Beleglage hier nicht ganz so gut ist, man findet das nur hier bei Erika-Steinbach, und ich hätte gern mal jemanden, der das für mich zu Ende recherchiert). Man könnte also sagen, dass man zur AfD überhaupt nichts sagen kann, solange der Verfassungsschutz da nicht seine Leute abzieht. Ich sage auf alle Fälle, dass jegliche derartige Aktivitäten aufhören müssen, weil eine derartige politische Geheimpolizei in einer Demokratie nichts verloren hat und ein absolutes Unding ist.)