Ich bin ein Freund der Breitwandformate. Ich finde sie einfach schöner. Man kriegt da mehr Landschaft ins Bild, mehr Menschen, mehr von allem. Sollte ich eines Tages einen Film über Kirchtürme oder Raketenstarts oder eine Liebespaar mit 60cm Größenunterschied drehen, würde ich den vielleicht in einem traditionelleren Format drehen. Ansonsten sehe ich da keinen Grund. Wenn man nun aber „Tatorte“ macht, dann ist die Formatfrage politisch und neurotisch aufgeladen. Es könnten sich ja Zuschauer beschweren, und das wird beim öffentlich-rechtlichen Rundfunk sehr ernst genommen, zumindest wenn es um so harmlose Sachen geht. Bei „Stau“ haben wir noch fröhlich im Scope-Format 1:2,35 gedreht und das einfach den vielen VFX in die Schuhe geschoben. Bei „Murot und das Murmeltier“ war es dann von ganz oben verboten, wir fügten uns zähneknirschend und drehten in 16:9. Bei „Das ist unser Haus“, der am vergangenen Sonntag lief, entschieden wir uns für das Zwischenformat 1:2, das sich in den letzten Jahren sehr verbreitet hat. Und dann geschah das Schreckliche: Eine Zuschauerbeschwerde. Jemand äußert sich durchaus lobend zun Film, aber dann schreibt er:
Sie senden einen Tatort aus mit schwarzen Streifen oben und unten auf dem Bildschirm unseres Sony Bravia Fernsehers, bei dem der Bildschirm fast keinen Rand hat. Habe ich 8% meiner GEZ Gebühr nicht bezahlt oder soll damit die gewünschte Gebührenerhöhung erzwungen werden? Spaß beiseite: Schicken Sie bitte dem Macher dieses Tatorts meine Mail, er
möchte mir mal erklären, was das soll? Manche Köpfe und Schuhe sind abgeschnitten und müßten das bei voller Ausnutzung des 16 zu 9 Formates gar nicht sein! Welche künstlerischen Wert hat es, das Bild oben und unten 4% zu beschneiden? Wo bleibt hier der Nutzer, der ja das Ganze bezahlt?
Sowas muß man sich natürlich zu Herzen nehmen. Also unsüffisant und unironisch, ich finde wirklich, man sollte die Leute da „abholen“ und „mitnehmen“ (und dann eigentlich auch irgendwo abliefern, aber das haben wir als Redewendung nicht im Fundus). Meine Antwort richtet sich natürlich mindestens zur Hälfte insgeheim an den SWR-Intendanten, damit ich da schon mal einen Stein im Brett habe für das völlig wahnsinnig gewordene Projekt, das ich gern als nächsten „Tatort“ drehen würde. Der soll jetzt bitte denken: Brüggemann, was für ein Teufelskerl, schreibt da so ausführlich und persönlich und postwendend. Aber ich finde, das ist legitim. Und damit der Rest der Welt auch etwas davon hat, hier mein Antwortschreiben. Ich hoffe, der SWR-Intendant leitet es auch weiter.
Sehr geehrter Herr ________,
erstmal vielen Dank für das Lob. Es freut mich sehr, daß unser Film Ihnen gefallen hat.
Zum Bildformat: Man kann hier nicht antworten, ohne einen kleinen Exkurs in die Geschichte der Filmformate zu machen. Eins jedoch vorweg: Es geht hier nie um „weniger“. Es geht und ging bei allen Änderungen des Bildformats immer um „mehr“. Mehr Bild, mehr Menschen im Bild, größere Menschen im Bild, mehr Emotion, mehr Kino, mehr Film. Niemand will was wegschneiden. Man will etwas zeigen. Mal eine Landschaft, mal eine Gruppe von Leuten, mal zwei Menschen, mal ein einziges Gesicht – je nachdem, was die Geschichte gerade verlangt. Und wenn es die Großaufnahme eines Gesichts ist, um die es jetzt geht, dann muß der Zuschauer damit leben, daß in diesem Moment keine Schuhe zu sehen sind. Das sind Entscheidungen, vor denen ich mich als Filmemacher nicht drücken kann. Ich treffe eine Auswahl, und wenn ich das gut gemacht habe, freut sich am Ende das Publikum.
Aber nun zur historischen Herleitung. Wenn Sie das alles schon kennen, bitte ich um Vergebung, dann können Sie gleich zum Ende springen. Es ist mir trotzdem wichtig, auch weil ich Ihre Frage in aller gebotenen Ausführlichkeit beantworten will.
Ursprünglich war das Bild, wie Sie vermutlich wissen, „kleiner“ – also weniger breit. Es hatte ein Format von 4:3, so wie die alten Fernseher, die wir aus unserer Kindheit kennen. In diesem Format sind alle Filme aus den ersten 50 Jahren des Kinos, und als dann das Fernsehen erfunden wurde, hatte es auch dieses Format. Wenn Sie einen Film aus dieser Zeit heute auf Ihrem Fenseher sehen würden, würden Sie links und rechts schwarze Balken sehen und vielleicht sagen: Da fehlt doch links und rechts etwas. Wird mir hier etwas vorenthalten? Hat der SWR da etwas abgeschnitten?
Aber die Frage, das erkennen Sie selbst, ist natürlich unsinnig. Wenn ich mir „Metropolis“ anschaue oder einen alten „Tatort“ oder eine alte Pumuckl-Folge (allesamt in 4:3), dann ist da links und rechts vom Bild – nichts. Da hört das Set auf. Da steht vermutlich der Tonangler und hält das Mikro. Da sitzt der Regieassistent und dirigiert die Komparsen. Da steht der Caterer und schmiert Butterbrote. Auch interessant, aber nicht Teil des Films, und ich glaube nicht, daß Sie das auf Dauer sehen wollen würden. So behandelt man als Filmemacher die Bildgrenzen: Alles, was interessant ist, kommt ins Bild rein. Alles andere bleibt draußen.
Warum sind unsere Filme dann nicht mehr in 4:3?
Für das Kino war in den 50er Jahren das Fernsehen eine neue Konkurrenz. Man mußte mehr bieten, um die Leute aus dem Haus zu locken. Also machte man das Bild größer. Und „größer“ bedeutete „breiter“ (nicht etwa „höher“, denn unsere Augen sind nun mal nebeneinander, und der Horizont ist horizontal). Die ersten Breitwandformate entstanden aber, indem man das Bildfeld auf dem 35mm-Film sogar kleiner machte. Man deckte es oben und unten ab (mit einem sogenannten Kasch). So blieb ein schmalerer Streifen vom Film übrig, und den projizierte man dann auf eine breitere Leinwand. Von der Auflösung war das dann deutlich schlechter als das alte 4:3 – man hatte ein kleineres Negativ, aber auf einer größeren Leinwand.
Dann wurde aber auch ein Verfahren namens „Cinemascope“ erfunden, mit dem man ein NOCH breiteres Bild auf dem GESAMTEN Negativ unterbringen konnte – und zwar, indem man das Bild einfach mit einem speziellen Objektiv horizontal zusammenquetschte und bei der Projektion wieder entzerrte. So war das ganze Negativ genutzt, aber diese Optiken waren anfangs gar nicht mal so toll, die machten Unschärfen und Farbsäume (das sind eigentlich technische Fehler, aber heute schätzen viele Kameraleute sie gerade deswegen – so ändern sich die Zeiten).
Lange Jahrzehnte blieb es so, und es gab diese verschiedenen Formate nebeneinander: Fernsehen in 4:3, Kino in 1:1,85 oder 1:1,6 oder 1:2,35. Wenn man Kinofilme auf VHS gucken wollte, konnte man sie entweder in „Letterbox“ gucken (mit den schwarzen Balken, die Sie nicht so mögen) oder aber in „Pan and Scan“ – da hatte man das ganze Fernsehbild gefüllt, aber vom Film fehlte die Hälfte. Ersteres war unbefriedigend, weil man auf dem kleinen Letterbox-Bild oft nur noch wenig erkennen konnte. Letzteres war ästhetisch und oft auch inhaltlich ruinös, denn da fehlte halt die Hälfte.
Dann, in den 90ern, zog das Fernsehen nach, und 16:9 setzte sich durch. Das war ungefähr das Seitenverhältnis der ersten Breitwandfilme (die mit dem Kasch auf dem Negativ). Wenn ich jetzt z.B. „Spiel mir das Lied vom Tod“ (der ist in Cinemascope) auf einem 16:9-Fernseher gucke, dann hat der Film immer noch Balken oben und unten, aber das stört längst nicht mehr so wie auf der alten 4:3-Glotze. Alte Filme in 4:3, die auf einem alten Fernseher formatüllend waren, haben dann plötzlich Balken links und rechts, aber das findet auch niemand so schlimm. Und seit einigen Jahren werden Filme ja nicht mehr nur auf Fernsehern geguckt, sondern auf unglaublich vielen Handys und Tablets und Laptops, die gar kein genormtes Format mehr haben. Es gibt in der Filmbranche eine Art inoffizielle Einigung, die könnte man am ehesten beschreiben als „dreht mal halbwegs annähernd 16:9, es sei denn ihr habt Bock auf was anderes“. Auf Netflix sind in letzter Zeit die meisten Filme in einem Zwischenformat, das es vorher nie gab, nämlich 1:2. Im Kino gibt es andererseits auch wieder nicht wenige Filmemacher, die sich für das alte 4:3 oder gar ein exakt quadratisches Bild entscheiden. Und die neueste Neuigkeit ist das vertikale Handyvideo. Vermutlich kommen bald auch Filme in diesem Format.
So weit, so unübersichtlich. Aber das ist der Hintergrund, vor dem man jedesmal wieder steht, wenn man einen neuen Film anfängt, und überlegt: Wie soll das Format sein?
Man will, wie gesagt, immer dasselbe: Man will soviel wie möglich. Alles, was für die Geschichte interessant ist, soll ins Bild. Alles andere soll raus. In unserem Fall handelte die Geschichte von einer Gruppe von Leuten, von Gruppendynamik, von Konflikten, von Diskussionen. Komik spielte eine große Rolle. Für Komik ist Interaktion und Timing entscheidend. Wenn immer möglich, möchte ich die zwei oder drei oder vier Menschen, die interagieren, miteinander gleichzeitig im Bild haben. Der Witz ist doppelt so lustig, wenn ich alle Beteiligten sehe. Also haben wir uns bei diesem Film für das etwas breitere Format 2:1 entschieden. Nicht um Köpfe oder Schuhe abzuschneiden, sondern um links und rechts mehr Platz zu haben für mehr Menschen im Bild.
Wenn wir die schwarzen Balken wegnehmen würden, würden Sie vielleicht das Mikro sehen, das den Ton aufnimmt. Vor allem wären dann aber die Köpfe der Schauspieler ungewöhnlich weit weg. Sie hätten einen leeren Bildraum über den Akteuren, den man so eigentlich vermeidet. Es fällt einem als Zuschauer nicht auf, aber die Filmkunst hat da ihre Regeln. Zuviel leerer Raum über einem Gesicht wirkt ausgesprochen irritierend. Es entspricht nicht unserer Wahrnehmung, die sich sehr auf Gesichter konzentriert. Wenn der schwarze Balken also weg wäre, dann wäre der Kameramann in Ausübung seines Berufs automatisch ein bißchen näher herangerückt, um diesen leeren Raum zu verkleinern. Und dann hätten wir links und rechts was verloren. Es wäre wenig gewonnen (ein etwas näheres Gesicht), aber einiges verloren (eine ganze Person weniger im Bild, denn angeschnitten wirkt auch seltsam, entweder sie ist ganz drin oder gar nicht).
Daher dieses Bildformat. Wir haben uns dafür entschieden, um das Maximum an Wirkung zu erzielen. Und mich freut es natürlich kolossal, daß der Film so gut besprochen wurde und über 10 Millionen Menschen erreicht hat. Das zeigt, daß wir unseren Job (Wirkung erzielen) am Ende doch ganz gut gemacht haben.
Beste Grüße und weiterhin viel Freude beim „Tatort“ wünscht
Ihr
Dietrich Brüggemann
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