Pflegerebellion

Ich bin mit einer schwerstbehinderten Schwester aufgewachsen. Ich war Zivi in der „individuellen Schwerstbehindertenbetreuung“. Ich weiß, was Pflege ist. Und ich weiß, dass viele in der Pflege zur Zeit sehr wütend sind. Wütend auf eine Politik, die sie nicht erst seit Corona, sondern seit Jahren im Stich läßt. Die ihren grundlegend menschlichen Impuls des Helfens ausnützt, um sie unter katastrophalen Bedingungen bei schlechter Bezahlung zu verheizen. Die jetzt noch wütender sind, weil sie weiter verheizt, aber zugeich heroisiert und instrumentalisiert werden, um den immer längeren Lockdown zu rechtfertigen. Zum Glück hat die Politik vorausschauend gehandelt, und wir erinnern uns ja alle an den großen Aufruf im Sommer 2020, der da lautete:

Alle mal herhören! Da rollt was auf uns zu! Jeder, der mal in der Pflege gearbeitet hat oder in Ausbildung ist, möge sich melden! Wir legen 500€ auf jedes Gehalt drauf, bringen den Laden auf Vordermann und kommen um den zweiten Lockdown herum!

Äh, nein. Ist bekanntlich nicht passiert. Stattdessen wurde auf dem Berliner Messegelände eine Notklinik mit 500 Plätzen aus dem Boden gestampft, die bis heute leersteht. Und mir möge jetzt keiner damit kommen, das sei alles nur von hochqualifizierten Fachkräften zu erledigen. Das stimmt zum Teil, und zum anderen Teil stimmt es nicht, wie dieser sehr lesenswerte Text es klar erläutert. Und Geld sollte ja eigentlich keine Rolle spielen. Ärzte in Impfzentren verdienen um die 130€ pro Stunde. Also, ich würde mal sagen, die Politik hat keine Ausrede. Wirklich keine.

Ich weiß noch, wie ich im März 2020 zuhause saß und mir dachte: Okay, wenn jetzt wirklich die Killerviruspandemie heranrollt und in den Krankenhäusern das absolute Chaos ausbricht, dann melde ich mich freiwillig und schiebe Betten. Als Ex-Zivi bin ich ja sozusagen Reservist, und die Analogie des Pandemiegeschehens zum Krieg bekam man ohnehin überall serviert. So kam es nicht, es kam anders, ein Jahr später sitzen wir am hundertachtzigsten Tag des 28tägigen Wellenbrecher-Shutdowns zuhause und lassen uns immer noch erzählen, das liege an den überlasteten Pflegekräften, da könne man leider nix machen, deswegen müsste Restaurants, Kinos und Museen leider weiter geschlossen bleiben, während die Leute sich in die U-Bahn und ins Büro pferchen dürfen wie eh und je.

Ich halte dieses Thema für weithin konsensfähig. Ich kenne niemanden und ich kann mir auch niemanden vorstellen, der sagen würde: Die sollen mal alle nicht so rumjammern. Ich glaube, wir sind uns da alle einig. Und das ist ein guter Anfang. Denn in einer Zeit, in der sich alle fürchterlich uneinig sind, ist es doch gut, wenigstens in einem Punkt Einigkeit zu finden.

Vor zwei Tagen meldete sich eine alte Bekannte aus HFF-Zeiten, die seit einem Jahr tatsächlich in der Pflege arbeitet. Sie hat jetzt mit Freunden eine Aktion namens „Pflegerebellion“ gestartet. Ich mach’s kurz: Ich bin dabei. Und ich will, dass alle dabei sind. Von links bis rechts, von oben bis unten, vom Hardline-Corona-Kritiker bis zum Zero-Covid-Apostel. Der Pflegenotstand passiert direkt hier in der Mitte unserer Gesellschaft, er betrifft uns alle, und ich kenne eigentlich niemanden, der keinen ausreichenden Grund hätte, sich da nicht am 12.5. um 5 vor 12 mit einem Handtuch im solidarischen Protest vor die Parlamente zu legen. Ich werde zumindest dabeisein. Und bis dahin will ich, dass sich das herumspricht. Helft alle mit. Danke.

 

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