Lolasaufen

Die „Kiste“ ist mal wieder da. Die „Kiste“ ist in Wahrheit eine Mappe mit sehr vielen DVDs. Auf den DVDs sind die Filme, die für den Deutschen Filmpreis vornominiert wurden. Also von geschätzten achthundert deutschen Spielfilmen des letzten Jahres die besten 30. Was sind die besten? Wie immer in der Kunst sind die Kriterien subjektiv. Am anderen Ende der Skala, bei den schlechtesten, da herrscht meist mehr Einigkeit. Man könnte die schönen Künste vergleichen mit dem 100-Meter-Lauf der Männer ohne Orientierungssinn bei Monty Python: Alle kauern auf der gleichen Startlinie, dann erklingt der Startschuß, und zehn Leute rennen in zehn verschiedene Richtungen davon. Unmöglich, am Ende einen Sieger zu bestimmen, aber wenn einer nach zehn Metern versackt, dann läßt sich das doch recht klar konstatieren. Sollte man denken. Aber manchmal regen sich Zweifel. Durchaus auch bei Betrachtung der „Kiste“.

(Ich selber habe mit der Kiste übrigens nichts zu tun, ich bin nicht in der Filmakademie, und meine Filme liegen nie in der Kiste. Ist mir auch egal, wobei, wenn man mal an die obszönen Geldbeträge denkt, die die Branche sich da austeilt, äh, ich schweife ab, aber mal ehrlich, „Kreuzweg“ ging ja so’n bißchen um die Welt, blamiert sich die Filmakademie da möglicherweise doch ein wenig, wenn sie den noch nicht mal unter die brauchbaren 30 wählt? Nein, denn man muß fairerweise dazusagen, daß die Vorauswahlkommission schon tagte, als die Berlinale ihr Programm noch nicht bekanntgegeben hatte, die Kommission mußte also ganz allein entscheiden, ob der Film gut oder schlecht ist. Keiner half ihnen. Das ist wie Weinprobe mit verbundenen Augen und ohne Geschmacksnerven.) (EDIT: Ich wurde von einer Regiekollegin scharf kritisiert und der Lüge bezichtigt, denn anscheinend war diese Information falsch, sie wußten es doch. Na gut. So gefährliche Worte wie „Lüge“ sollte man da nicht gleich aus der Garage fahren. Mir lagen einfach andere Informationen vor. Was das jetzt am Sachverhalt ändert und wie man den Weinprobenvergleich modifizieren müßte, kann sich jeder selber zusammenbauen.)

Eher per Zufall habe ich nun vor zwei Jahren mit einem guten Freund, der seinerseits Kistenbesitzer ist, eine gar herrliche Art entdeckt, sich mit der Kiste einen netten Abend zu machen. Es ist ein Spiel für zwei oder mehr Mitspieler, und es geht so: Man stelle eine Flasche Schnaps bereit (Wodka, Whisky, irgendwas, was knallt) sowie für jeden Spieler ein Gläslein. Dann legt man irgendeinen Film ein und läßt ihn in stiller Größe auf sich einwirken. Wer es als erstes nicht mehr aushält, schreit „Stop!“ und muß zur Strafe ein Glas Schnaps trinken. Wenn ein anderer Spieler den Film auch nicht gut fand, darf er sich solidarisieren und ein Glas mittrinken. Auf diese Weise schafft man zehn bis fünfzehn Filme an einem Abend, ist hinterher anständig blau und hat a gscheit verbotne Fetzngaudi. Das Spiel nennt sich „Lolasaufen“, und jeder Kistenbesitzer kann es zuhause nachspielen. (EDIT: Dieselbe Kollegin, die mich schon im letzten Absatz tadelte, findet auch dieses Spiel nicht lustig. Mehr dazu hier.)

Also, verehrte Zuschauer, wir haben uns hier mal wieder eingefunden zu einer Aufführung eines alten bürgerlichen Trauerspiels namens: Der Deutsche Film.

Stop! Hört auf mit dem Bashing! Diese Selbstgeißelung, das ist so furchtbar deutsch! – Ja, auch diese Zwischenrufe aus dem Publikum sind mittlerweile Bestandteil des Dramas. Und nichts läge mir ferner, als zu bashen. Ich kam mit Liebe im Herzen. Ich floh aus der grauen, bösen Welt und entdeckte das Kino. Dieses Glück, sich in einem dunklen Raum zu verkriechen und dort von einem Film aufsaugen zu lassen. Doch die andere Seite dieses Glückes ist eben das Unglück, wenn ein Film so finsterlich mißraten ist, daß man aus dem dunklen Saal wieder fliehen möchte hinaus in die graue, böse Welt. Ich fände es großartig, wenn die Filme aus meinem Land großartig wären. Ich würde singend und jubilierend dreimal die Woche in deutsche Filme rennen. Stattdessen denkt man zu oft beim Gucken: Echt jetzt? Soll ich euch das glauben? Haben diese Dialogsätze, diese Dramaturgieschablonen, diese Bilder, haben die nicht schon meterlange Bärte, Bärte aus den Tiefen des vorigen Jahrhunderts? Bärte, die schon damals, als sie kürzer waren, nicht gut aussahen? Ich fürchte also, daß wir es hier keineswegs nur mit einer verzerrten Wahrnehmung zu tun haben. Die Freude, die man beim Gucken nicht hat, ist schon ein ganz verläßlicher Indikator für die Qualität, die der Film nicht hat. Die Bestandsaufnahme wäre niederschmetternd, wenn man nicht ohnehin schon seit Jahren niedergeschmettert wäre.

Das haben auch andere erkannt, nämlich zahlreiche internationale Festivals, auf denen das deutsche Kino derzeit keine besondere Rolle mehr spielt. Und das hat wiederum der Verband der Deutschen Filmkritik erkannt und schmeißt aus diesem Anlaß einen lustigen Diskussionsabend unter dem beschwingten Titel: „Kino machen andere – warum der deutsche Film einem toten Elch gleicht, den selbst die Geier naserümpfend verschmähen.“ Den zweiten Teil des Titels habe ich mir leider nur ausgedacht. Die Veranstaltung ist heute abend. Ich würde normalerweise hingehen, zuhören und wissend nicken. Bin aber schon länger woanders verplant. Werde also nicht hingehen. Eigentlich sehr schade. Eigentlich egal.

Zunächst aber ein ernstgemeintes Kompliment. Endlich sagt‘s mal einer. Es war überfällig. Uns fehlt nicht nur Qualität, sondern auch eine qualitätvolle Debatte über selbige. Gespräche unter Filmschaffenden in Deutschland drehen sich allesamt, immer, jedesmal nach spätestens achteinhalb Minuten in eine einzige Richtung: Geld. MBB, BKM, NRW, FFF, FFHSH, die FFA schmeißt Til Schweiger fünf Fantastilliarden hinterher, wegen MDM müssen wir fünf Wochen in Halle herumsitzen, der WDR würde uns mehr Geld geben, aber das will der NDR nicht, weil dann der BR nicht mehr federführend wäre und die Frau vom SWR mit dem vom HR gut klarkommt, aber nicht mit dem Pförtner von Radio Bremen. Alle Beispiele sind verfremdet und außerdem ausgedacht. Nie würde ich in die Hand beißen, die mich füttert. (Ähnlich dämlich sind übrigens die Fachsimpeleien, in die man unter internationalen Filmemachern gerät, da geht es nur um Cannes und Toronto und nordamerikanische Premiere und wenn Sofia, dann nicht San Sebastian, man wirft sich Festivalorte an den Kopf, als wären es Automarken, und es ist genauso hirnlähmend.) Also, wo sind sie, die begeisterten Runden, die sich wenigstens mal in Euphorie und Rage reden angesichts einer unbedingt zu erzählenden Geschichte, eines filmischen Glücksmoments, der die Leinwände der Welt zum Beben bringen wird? Oder die diesen Glücksmoment dann sogar herstellen? Deutscher Film, du fauler Sack, was ist los?

Die Probleme sind schnell aufgezählt und wurden oft schon von klügeren, zumindest aber ernsteren Leuten als mir benannt. Zuviel Fernsehen in den Fördergremien, überhaupt zu viele Leute in den Fördergremien, überhaupt die Fördergremien, überhaupt alles. An dieser Stelle ein kleiner Ausflug nach Dänemark:

Die Filmförderung ist zweigeteilt: Einmal künstlerisch, einmal kommerziell.
Über kommerzielle Filmprojekte entscheidet ein kleines Gremium.
Über die künstlerische Förderung entscheidet EINER ALLEIN.
Der muß dann auch hinterher dafür geradestehen.
Weil jeder mal einen blinden Fleck haben kann, ist die Stelle doppelt besetzt.
Und nach fünf Jahren ist Schluß, dann kommt jemand anders.

So macht man das, Deutschland.

Und jetzt eine kleine Anekdote aus der eigenen Lebenserfahrung. Es wird ja immer gern auf Redakteure geschimpft. Ich selber kann da nicht mitschimpfen. Hatte nur gute Erfahrungen mit denen. Bis auf die, mit denen ich gar keine Erfahrungen habe, weil wir nie zusammenkamen. Und das kam so. Zu Filmhochschulzeiten drehte ich in fröhlicher Autistik (Wort soeben erfunden) recht seltsame Filme. Einer hieß „Warum läuft Herr V. Amok?“ und handelte von einem Paar, das sich im Kino „Alien V“ ansehen will, aber vom Vordermann daran gehindert wird, der seinen Hut nicht abnehmen will, weil er Fassbinder-Imitator ist, und behauptet, der Film sei gar nicht „Alien V“, sondern „Angst essen Seele auf“. Der Film lief auf der Berlinale, dann auf keinem weiteren deutschen Festival, aber ein bißchen im Rest der Welt. Dann gab es an der HFF immer den Besuchs- und  Kontakteinfädelungstag für Produzenten und Redakteure. Da lief mein Film. Und dann wurden links und rechts von mir Kontakte eingefädelt, kleine Fernsehspiele eingetütet, die Redakteure schlugen ein, daß die Heide wackelte, nur bei mir nicht. Ich fühlte mich klein und einsam. Und irgendwann sagte ich mir: Okay, dann mache ich jetzt halt mal einen deutschen Film. Menschen reden in zehn Minuten langen Einstellungen über ihre Familienprobleme. Ätsch, ich kann das auch. Das Resultat war „Neun Szenen“, der hätte dann deutlich besser laufen können, wenn er weniger lustig gewesen wäre und wir die Farben mehr in Richtung Berliner-Schule-Blässe gedreht hätten, aber er lief gut genug, um alles nachfolgende zu ermöglichen. Den Quatsch mit Alien V gegen Fassbinder hätte ich mir jedenfalls sparen können.

Was lernen wir daraus? Es gibt keine zu beschimpfenden Individuen, aber einen zu beschimpfenden Geist. Anstatt also Gruppen wie Redakteuren, Förderern, Festivals, Kritikern oder sich selbst die Schuld zuzuschieben, sollte man lieber den gemeinsamen Grund finden. Und der ist in den Köpfen. Da sitzt er, der deutsche Film, in all unseren Köpfen. Man muß ihn sich vorstellen wie einen durchaus freundlichen, leider ziemlich unattraktiven, etwas umständlichen, nicht übermäßig intelligenten kleinen grauen Beamten, über dessen Schreibtisch jede Idee geht, und der dann, wenn es gar zu aufregend wird, bedauernd den Kopf schüttelt und sagt: Nee. Geht nicht. Das ist kein deutscher Film. Und zum Spielen gehnse bitte rüber in die Kinderabteilung.

Dieser kleine Beamte, der gehört totgeschlagen und aus dem Fenster geworfen.
Das ist der notwendige erste Schritt.
Danach kommt alles andere.

So sehr ich die heutige kritische Veranstaltung begrüße, so habe ich doch auch Kritik daran anzumelden. Ich fürchte nämlich erstens, daß man da versucht, das Problem im gleichen Tonfall zu lösen, in dem es entsteht, nämlich mit den gravitätischen Stirnfalten des ernstelnden deutschen Kulturmenschen. („Ernsteln“ ist ein Wort, das Robert Gernhardt mal als Pendant zum ihm vorgeworfenen „Blödeln“ vorgeschlagen hat und das ich hiermit freudig begrüße). Zweitens darf auch die Gegenwelt, die da aufgemacht wird, nämlich die internationalen Festivals, nicht unhinterfragt im Raum stehen bleiben. Dieser gläubige Blick nach Cannes, wo angeblich das Wahre, Gute und Edle stattfindet, den mache ich nicht so ohne weiteres mit. (Und drittens steckt da auch so eine kleine Portion Wichtigtuerei drin: Je kränker der Patient, desto wichtiger der Arzt. Das aber nur in Klammern. Klammer zu.)

Also, erstens: Deutsche Podiumsdebatten sind wie deutsche Drehbuchgespräche. Ritualisiert, zu lang, zu wenig Energie, irgendwas kommt am Ende schon rum, aber kaum je ein entscheidender Durchbruch. Man problematisiert sich so durch den Nachmittag und wäre gern woanders. Großartigerweise hat man sich aber internationale Gäste eingeladen. In England und Amerika, da ist es nämlich anders. Da kommt vielleicht am Ende auch nichts rum, aber in England, meine Güte, da machen die Leute selbst bei todernsten Anlässen erstmal Witze, und die sind dann auch noch meistens richtig gut. In so einer Geisteshaltung ließe sich vielleicht auch der deutsche Film effektiv in den Hintern treten.
Ließe.
Konjunktiv.

Zweitens: Das internationale Kino zerfällt doch auch immer mehr in zwei Kontinente, nämlich den zunehmend dämlichen Mainstream und das zunehmend sektiererische Festivalkino. Es sollte ja eigentlich so sein, daß die Festivals einfach das spielen, was gerade irre aufregend und total neu oder einfach sehr gut ist, aber so ist es halt nicht. War in früheren Jahrzehnten ein Film noch ein Kommunikationsangebot, eine ausgestreckte Hand, die der Filmemacher dem Zuschauer aus seiner Welt herüberreichte, war das Filmemachen eine Herausforderung, die eigene künstlerische Position verständlich zu machen (was eine Aussage mit zwei gleichwertigen Teilen ist, nämlich „Position“ und „verständlich“), so scheint es mir heute mehr und mehr darum zu gehen, die eigene Idiosynkrasie und den eigenen Narzißmus möglichst ungefiltert auszustellen, wie auch immer sie und er aussehen mögen, und wenn man Glück hat, wird man dafür aufs Podest gehoben. Außerdem haben die Festivals selber auch so einen kleinen Beamten im Kopf, der hat einen Stempel namens „Kunst“ in der Hand, der hat nicht immer, aber oft eine Abneigung gegen alles Komische, der mag es gern still und meditativ und ein bißchen abweisend. Das merken natürlich auch die Filmemacher und machen ihre Filme für diesen Beamten. So kriegt man dann lauter Filme, die sich von vornherein in die Kunst-Pose werfen. Was hinten runterfällt, sind einerseits Filme, die stilistisch nicht in die gerade herrschende Mode passen, und andererseits ganz einfach Filme, die sehr gut sind, ohne in irgendeine Richtung spektakulär zu sein. Die einfach die guten alten Tugenden besitzen, die in der Beschreibung ihrer Welt und ihrer Figuren extrem präzise und treffsicher sind, ohne sich in irgendeine Pose zu werfen. (So einen im besten Sinne normalen Film habe ich übrigens vor wenigen Tagen gesehen, nämlich Micha Lewinskys „Nichts passiert“, und ich finde es äußerst betrüblich, daß die Berlinale für so etwas anscheinend keinen Platz mehr hat. Ist mir selber aber auch schon passiert, und „Kreuzweg“ war bei aller Ernsthaftigkeit auch eine Reaktion darauf, daß die Festivals anscheinend blind für die Qualität des Unspektakulären sind.)

Exkurs beiseite, Fazit: Man kann nicht die Festivalabwesenheit des deutschen Films problematisieren, ohne dabei die Probleme des Festivalbetriebs mitzuproblematisieren.

Hinzu kommen ein paar Denkfallen, in die auch kluge Leute immer wieder rennen. Das eine ist die angenommene Höherwertigkeit des Künstlerischen und Experimentellen über das Handwerkliche und Erzählerische. In vielen Kritikerköpfen ist ein System drin, nach dem „eigenwillig“ automatisch besser ist. Ist es aber nicht. Sind alles erstmal nur verschiedene Disziplinen, in denen man jeweils gut oder schlecht sein kann. Dann die Vorliebe der Kritik für das Unverständliche, ist aber andererseits klar, denn je obskurer das Werk, desto bedeutsamer der Exeget. Auch nicht selten ist die Geringschätzung als vorgefertigte Geisteshaltung. Läuft kaum ein deutscher Film auf der Berlinale, dann ist das schlimm, laufen viele, dann sind die halt erbärmlich. Und dann noch diese nicht auszurottende Marotte, „Wellen“ und „Schulen“ und „Bewegungen“ zu proklamieren. Da nimmt man irgendeine oberflächliche Gemeinsamkeit zum Anlaß, eine Strömung auszurufen, in die man lauter unterschiedliche Leute packt, die in Wahrheit nicht viel miteinander zu tun haben. Frédéric Jaeger hat es kürzlich mal wieder versucht, und ich würde mich totlachen, wenn tatsächlich eine Generation als „Freischwimmer“ in den Sprachgebrauch einginge. Dann doch lieber Seepferdchen. Der von mir durchaus geschätzte Rüdiger Suchsland schimpft auf hohem Nivau und fragt sich, ob die Erlösung vielleicht vom „Berliner Flow“, auch bekannt als „German Mumblecore“ kommen wird, und liefert die Antwort gleich mit: Nein. Ich pflichte bei, aber nur deswegen, weil Qualität ohnehin nicht von bekloppten Bandnamen kommt, sondern von Köpfen, und der Kopf ist ein Einzelphänomen. Wenn ich von irgendjemand hierzulande Großes erwarte, dann vielleicht am ehesten von den Lass-Brüdern, aber doch nicht von irgendeiner „Schule“.

Und jetzt mal zum Positiven. Dieser Text ist jetzt schon verdammt lang. Mein verdammt kluger Kollege Christoph Hochhäusler hat auf seinem Blog was verdammt kurzes geschrieben und damit den Nagel auf den Kopf getroffen. Ich finde das so gut und richtig, daß ich es jetzt zitieren muß:

Aber wir haben eine Filmkultur, die in ihren besten Momenten bescheiden ist, während das Unbescheidene fast immer ohne Ambition bleibt. Kurz: der deutsche Film hat ein „protestantisches” Problem. Anders als die Autorengeneration der 70er Jahre, für die ein „katholisches” (performativ-polarisierendes) Verhältnis zur Öffentlichkeit eine Selbstverständlichkeit war, haben wir es heute meist mit Filmemachern zu tun, die versuchen, in gutem Einvernehmen zu leben sowohl mit der eigenen Szene, als auch den Mächten, die ihre Filme finanzieren.

Besser kann man es nicht sagen. Man könnte nur noch fragen: Wer sind eigentlich die Filmemacher in Deutschland? Was sind das für Menschen? Es ist ja unmodern geworden, Menschen mit Eigenschaften zu bezeichnen, es ist irgendwie diskriminierend, jeder ist schließlich schön. Ich mach‘s trotzdem, ich schaue mich um und sehe vor allem drei Typen, die hierzulande Filme machen:

Intellektuelle
Sozialpädagogen
und Proleten.

Hinzu kommen noch die Sachbearbeiter, aber die findet man eher im Fernsehen.
Und verstehnse mich mal nicht falsch: Nix gegen Intellektuelle, nix gegen Sozialpädagogen, und auch nix gegen Proleten. Es gibt großartige Proletenfilme! Und großartige Filmproleten! Aber wo sind die Spieler? Die Künstler? Die Abentheurer? Die Bonvivants? Die Tyrannen? Oder all die anderen Charaktere, die der große deutsche Filmemacher J.W. Goethe hier ausgebreitet hat? Warum werden Leute wie Max Goldt oder Bernd Begemann nicht Filmemacher? Vielleicht gibt es sie, aber vielleicht werfen sie irgendwann zwischen der achten und neunten Drehbuchfassung des seit fünfeinhalb Jahren geplanten Diplomfilms genervt das Handtuch.

Wenn sich was ändern soll, dann kann das also nur von uns selber kommen, also von den Filmemachern, womit nicht nur Regisseure gemeint sind, sondern auch Autoren und Produzenten. Es ist unsere Aufgabe, etwas herzustellen, das bestehen kann, und es mit Zähnen und Klauen zu verteidigen gegen alle, die es „verbessern“ wollen und damit umbringen. Mein Lieblingszitat ist von Nicholas Winding Refn, der gesagt hat: Künstlerische Freiheit wird einem nicht gegeben, man muß sie sich nehmen.

Nochmal zum Mitschreiben:
Künstlerische Freiheit wird einem nicht gegeben, man muß sie sich nehmen.

Also, schlagt den deutschen Film im Kopf tot. Macht, was ihr wollt. Zieht es durch. Und zuletzt das allerwichtigste (das geht jetzt vor allem an die Sozialpädagogen und die Intellektuellen): Hört auf, so furchtbar ernst zu sein. Ich treffe in Deutschland lauter interessante, humorvolle, mehrdimensionale, spannende Menschen, dann gucke ich mir Filme von denen an, und die sind entsetzlich dröge oder furchtbar brav oder beides, und ich möchte sie packen und schütteln und schreien: Warum? Was fällt dir ein, einen Film zu machen, der weniger spannend und vielschichtig und ja, UNTERHALTSAM ist als du selber? Gibt es da irgendeine Rechtfertigung? Nein, gibt es nicht. Den Langweilern ist nicht zu helfen, die sollen mal weiter langweilig sein, aber von den Nichtlangweilern erwarte ich Nichtlangeweile. Akzeptiert die Komplexität und Widersprüchlichkeit, Schrecklichkeit und Banalität der Welt. Sie führt zwangsläufig zu Komik, zu Interesse, zu Unterhaltsamkeit. Get over it. Das Leben ist trotzdem immer noch schlimm genug. Aber nicht so schlimm wie ein schlechter Film.

–––

Zum besinnlichen Ausklang hier noch ein Blick in den deutschen Kulturbegriff, gefunden in einem Studentenwohnheim in Stuttgart.

2010-08-1583

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