Berlinale 2025, Tag 2 und 3: Verklemmtes Herumstehen auf der Suche nach dem Kick.

Am zweiten Tag ist nichts Erwähnenswertes passiert, aber daran bin ich selber schuld, ich war einfach nicht auf der Berlinale, außer auf einer geselligen Veranstaltung am Abend. Mein Fernbleiben lag an unserem derzeit noch nicht ganz abgedrehten No-Budget-Film, bei dem es einen Ausfall gab und noch ein paar Drehtage organisiert werden müssen, außerdem war ich damit beschäftigt, den Blogeintrag zum ersten Tag zu schreiben, und solange man schreibt, erlebt man ja nichts Neues, über das man schreiben könnte. Irgendwann habe mir selbst die Regel gegeben: Produktion geht vor Konsum, also: Filme machen ist wichtiger als Filme gucken. Ich fürchte aber, im kategorisch Kantischen Sinne ließe sich diese Maxime meines Wollens nicht zu einem allgemeinen Gesetz machen, zumindest wäre das nicht wünschenswert, denn dann würden alle nur noch Filme machen und niemand mehr Filme gucken. Ein bißchen so fühlt sich die Berlinale ohnehin an, denn alle, die man trifft, machen irgendwas oder wollen irgendwas machen, Filme angeguckt werden dagegen eher weniger. Ich habe das schon vor neun Jahren in diesem Blog erwähnt. Damals habe ich selber noch Filme geguckt. Heute auch nicht mehr. Vielleicht aber morgen oder übermorgen.

Am dritten Tag ist dann abends der Empfang der Berlin-Brandenburger Filmförderung. Da erfährt man interessante Gesprächsfetzen, beispielsweise dass ein Filmemacher, den ich kenne, die letzten Jahre in einer Sektion der Berlinale nicht mehr eingeladen wurde, weil ihn jemand nicht mochte, dass diese Person aber jetzt woanders arbeitet und er jetzt mit seinen Filmen wieder da laufen darf. Natürlich nenne ich jetzt keine Namen, denn ich will ja selber irgendwann auch mal wieder auf der Berlinale laufen, und schon diese beiden Umstände deuten uns auf ein Problem hin, das ich schon öfters formuliert habe und auch noch öfter beim Namen nennen werde: Es gibt in der Filmproduktion, also zumindest in dem staatsfinanzierten Apparat, den wir in den europäischen Ländern haben, zwei Nadelöhre, durch die ein Film durch muß, und beide sind für mein Empfinden der Kunst nicht förderlich. Erstens die Finanzierung durch zahlreiche Fördergremien, zweitens, wenn der Film dann fertig ist, die Premiere auf Festivals, wo es für die Karriere eines Films allentscheidend ist, ob er beispielsweise auf der Berlinale im Wettbewerb läuft oder halt in Tromsö oder Tallinn in einer Nebenreihe. Man kann theoretisch einen noch so tollen Film machen, und die Welt würde es nie erfahren, wenn er aus irgendeinem Grund nicht an einem Ort liefe, wo er eine Chance häte, sich aus den Massen von Filmen, die nebenbei auch eine Folge unserer staatsfinanzierten Produktionsapparate ist, irgendwie herauszuheben.

Festivals und Förderungen sind nun aber nicht als Naturereignisse vom Himmel gefallen, sondern werden von Menschen gemacht, und die Menschen, die hier die Entscheidungen treffen, haben eine enorme Macht. Sie können Weltkarrieren auslösen oder eben nicht. Es wäre nun durchaus denkbar, dass die Festivalmacher und Förderer mit dieser Macht sorgsam umgehen, sich selbst bescheiden zurückhallten* und mit maximaler Hingabe dafür arbeiten, die bestmöglichen, ungewöhnlichsten, überraschendsten, radikal neuartigsten Filme zu ermöglichen. Es könnte aber genausogut sein, dass sie diese Bescheidenheit eher so als Pose kultivieren, sich in Wahrheit aber selber für die eigentlichen Stars halten, ihre Kumpels nach oben befördern und sich mit einem Netzwerk aus Jasagern umgeben. An Königshöfen gab es früher die sogenannten “Hofschranzen” (übrigens ein generisches Femininum, ähnlich wie “die Leiche” oder “die Person”), das waren einflußreiche Beamte, die sich als demütige Diener der Macht gerierten, in Wahrheit aber selbst Macht ausübten und das auch sehr genossen. Ich will nicht pauschal urteilen, aber die Gefahr einer gewissen Hofschranzigkeit scheint mir bei der Struktur unserer Festival- und Fördersysteme immer gegeben, und ich sehe außerdem kein wirkliches Bewußtsein für das Problem und damit auch nicht den Versuch, irgendwie gegenzusteuern. Zumindet nicht in Deutschland, in Dänemark dagegen schon, da entscheidet beispielsweise in der staatlichen Filmförderung kein Gremium, weil man der Meinung ist, dass künstlerische Radikalität in Komitees nicht möglich ist, sondern ein Einzelner, der dann für seine Entscheidung auch geradestehen muß, die Stelle ist jedoch doppelt besetzt (es gibt also einen zweiten Entscheider) und zudem auf fünf Jahre befristet, damit eben keine ungute Machtzusammenballung entsteht. Man macht den Job also fünf Jahre und ist dann wieder Drehbuchautor oder was auch immer man vorher war. Auch das habe ich schon öfter zitiert und werde es auch noch öfter zitieren, denn es erscheint mir alles sehr sinnvoll und wünschenswert.

Der Medienboard-Empfang ist auf dem Holzmarkt-Gelände, also bei Eiseskälte im Freien. Bis vor einigen Jahren war er im großen Saal des großen, klotzigen Hyatt am Potsdamer Platz, und bis vor noch einigen Jahren mehr liefen da immer Promo-Teams eines Zigarettenherstellers herum und teilten freigiebig aus. Es rauchten also alle im großen Saal des Hyatt und warfen ihre Kippen fröhlich auf den Teppich. Das hatte eine gewisse Punkrock-Attitüde und war irgendwie auch das Sinnvollste, was man mit diesem Hotelsaal tun konnte. Das kalte Holzmarktgelände ist aber auch okay. Ich bemerke nur an mir selbst eine zunehmende Unfähigkeit zu Partygesprächen. Selbst wenn ich da auf gute Freunde treffe, mit denen ich mich problemlos einen Abend lang angeregtestens unterhalten kann, stehe ich hier neben den selbigen und mir fällt nicht viel ein. Diese Sprachlosigkeit auf Partys ist, wenn ich es recht bedenke, bisher nicht wirklich erzählt worden. Es gibt zwar wahnsinnig viele Filme über Sprachlosigkeit in Familien, im Grunde handelt fast jeder deutsche Film von Sprachlosigkeit zumeist in Familien, genauer gesagt in dysfunktionalen Familien, aber andererseits sind ja in Film und in der Literatur seit mindestens 100 Jahren alle Familien dysfunktional, es gibt keine anderen mehr, die dysfunktionale Familie ist längst das Standardmodell, man kann das Adjektiv auch einfach weglassen. Sprachlosigkeit ist also ausführlich erzählt worden, Partys sind in Film und Literatur auch ausführlich erzählt worden, der Exzess der Nacht und die Ekstase auf der Tanzfläche und die Suche nach dem Kick und so weiter hat man schon das eine oder andere Mal gesehen. Die Kombination aus beidem, also Sprachlosigkeit und etwas verklemmtes Herumstehen auf einer Party, wo eigentlich die atemlose Suche nach dem Kick und dem Exzess stattfinden sollte, aber sich nicht einstellen will, wäre irgendwie neu. Sollte man also mal machen.

Man kann es natürlich versuchen, also sich auf irgendein Sofa setzen und wirklich eine eingehende Konversation starten, aber dann kommt immer jemand und setzt sich daneben und ruft “na, wie geht’s euch, Mensch, haben wir uns lang nicht mehr gesehen, gut schaust du aus, Kinostart ist leider miserabel gelaufen, danke der Nachfrage, der Verleih hat auch keine gute Arbeit gemacht und der Termin war halt irgendwie der falsche, aber wir haben trotzdem die Finanzierung für den nächsten weitgehend eingetütet, Medienboard war ganz spendabel.” Aber auch das ist ja völlig okay, denn dafür sind solche Veranstaltungen ja da, und dann weiß man wenigstens wieder, wer was macht.

Ich laufe dann noch einem Produzenten über den Weg, den ich schon ewig kenne und mit dem ich erfreulicherweise kein sprachloses, sondern ein sprachlich einwandfrei fließendes Gespräch führe, und nach dem Gespräch haben wir eine lustige Filmidee samt Titel und Besetzung sowie eine Verabredung in einem Kino im Berliner Umland für nächste Woche, um etwas Feldforschung zu betreiben. So kann es auch gehen. Medienboard Berlin-Brandenburg, ohne dich wäre dieser Film nie entstanden, zumindest wenn er denn am Ende tatsächlich entsteht.

 

*Eine befreundete Filmkritikerin sagte, das sei ein genialer Freudscher Verschreiber. Ich lasse ihn daher so stehen.

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