Heute gehe ich mal ins Kino. Also genauer gesagt nicht ins Kino, sondern in die Uber Eats Music Hall. Vor sehr langer Zeit gab es mal einen Film mit dem Titel “Angst essen Seele auf”, und dieser Satz wurde dann memetisch, das heißt, er wanderte in allerhand Variationen durch die folgenden Jahrzehnte, auf Studentendemos sah man Transparente “Staat essen Bildung auf”, irgendjemand sagte mal “Förderung essen Film auf” und so weiter. Jetzt also: Uber Eats Music. Die so benannte Halle hieß letztes Jahr noch Verti Music Hall und liegt am Uber Platz, der bis vor kurzem noch Mercerdes-Platz hieß, und direkt neben der Uber Arena, die bis vor einiger Zeit Mercedes Benz Arena hieß und davor O2 World. Als nächstes heißt sie vielleicht Tinder Stadion oder Youtube Mehrzweckhalle. Es läge jetzt natürlich nahe, die massive Bescheuertheit und zudem latente Menschenverachtung zu geißeln, die darin liegt, wenn Konzerne ihren Namen auf Orte in Städten, in denen Leute leben, nach Belieben draufkleben und dann wieder wegnehmen, als wäre es ein Stück Käse, das man aus dem Kühlschrank holt und dann doch nicht ißt, es wäre nur vollkommen sinnlos, also lasse ich es. Man kann allenfalls nüchtern feststellen, dass Firmen und Konzerne mit diesem ganzen Branding und Rebranding anscheinend etwas bezwecken, denn sonst würden sie ja nicht mehrstellige Millionenbeträge für Veranstaltungshallennamensrechte ausgeben. Und was bezwecken sie? Doch wohl folgendes: Der Name soll in die Öffentlichkeit und soll in den Köpfen der Leute mit etwas verbunden werden, das sie gut finden. So funktioniert Werbung, PR und Propaganda, was übrigens drei Worte für dieselbe Sache sind. Da finde ich es dann doch erstaunlich, dass in den ganzen ausgefeilten Gehirnen der Werbepsychologen, die sich das ausdenken, offenbar kein Platz für den naheliegenden Gedanken ist, dass das beliebige Auswechseln von Namen insgesamt ungut auf die “Brand” abfärben könnte. Namen sind nämlich so beständig wie die Dinge, die sie bezeichnen, das lernen wir früh im Leben, man ändert seinen Namen eigentlich nie, allenfalls den Nachnamen, wenn man mal heiratet, und auch Fuchs und Hase heißen in zehn Jahren immer noch Fuchs und Hase und nicht etwa Löffel und Bratpfanne. Wenn nun hingegen Uber und Uber Eats und Mercedes Benz und Verti und weiß der Geier wer ständig ihre Namen ihrgendwo draufkleben und wieder wegnehmen und zu immer absurderen Konstruktionen zusammenschrauben, dann kommt bei mir als Konsument vor allem die Message an: Ihr seid nicht beständig, ihr seid eine Fata Morgana, ihr verkauft mir irgendeinen Scheiß, macht euch dann aus dem Staub, benennt mein Fußballstadion heute nach euch und übermorgen nach einer spanischen Supermarktkette, ihr könnt mich mal.
“Ihr könnt mich mal” ist nun vermutlich nicht die Botschaft, die globale Großkonzerne als erste Assoziation in ihrem Markenimage beim Konsumenten verankern wollen, ich persönlich fände es aber toll, wenn genau das passiert, also kann ich mir nur wünschen, dass immer mehr Namensrechte für immer kürzere Zeit an irgendwelche Vollidiotenkonzerne verkauft werden und erkläre mich gern bereit, daran aktiv mitzuwirken. Die Rechte an meinem Nachnamen stehen daher hiermit zum Verkauf, Laufzeit des Vertrages ist acht Monate, Einstiegsgebot faire 800.000€, und dann heiße ich halt ein knappes Dreivierteljahr Smart oder Allianz oder Amazon, bevor ich mich dann umbenenne und die nächsten paar Monate Unilever oder Bayer heiße.
Der Filmemacher und Klatschkolumnist Dietrich Allianz Daimler, demnächst Monsanto, bis vor kurzem Deutsche Bahn, geht also in die Uber Eats Music Hall, ehemals Verti, demnächst Kraft Jacobs Suchard, um sich den französischen Film “Ari” anzuschauen, der im Wettbewerb der 75. Cupra Armani Mastercard (ehemals Audi L’Oréal ZDF) Berlinale läuft. Der kämpferisch-konzernkritische Antikapitalismus, den ich hier zur Schau stelle, hatte eigentlich auch im Programm der Berlinale immer seinen Platz, da gab es Filme über die “Yes Men”, ein Aktivistenduo, das genau mit solchen Techniken der Überaffirmation arbeitet, also der grotesk übersteigerten Zustimmung als Methode der Entlarvung. Ich weiß nicht, was aus den Yes Men geworden ist und ob sie zu Corona-Zeiten dann auch an der kritischen Entlarvung beispielsweise der Pharmaindustrie versucht haben, vermutlich eher nicht, die Pharmaindustrie hat uns in dieser Zeit doch alle gerettet, wir sollten ihr auf Knien danken, denn wenn es die segensreiche Impfung nicht gegeben hätte, dann würden wir noch immer im Lockdown zuhause sitzen und uns über Ungeimpfte echauffieren, die uns mit ihrem dummen Egoismus die ganze schöne Corona-Solidarität kaputtmachen, oder so ähnlich, ich schweife ab, ich wollte doch endlich mal was über einen Film schreiben.
Der Film heißt wie gesagt “Ari” und handelt von einem äußerst sensiblen jungen Mann, der als Grundschullehrer vor einer Klasse steht und einen Nervenzusammenbruch erleidet. Ein Hauch von absurder Komik durchzieht den Film, auch als Ari dann ein paar alte Freunde abklappert und sich zwischendurch immer wieder mit seinem Vater auseinandersetzt sowie mit einer Ex-Freundin, die ein gemeinsames Kind abgetrieben hat, weil er sich nicht zum Vatersein fähig fühlte. Die Kamera ist immer sehr nah auf den Gesichtern, das Frankreich der Vorstädte und Vorgärten und Metro-Haltestellen, das er zeigt, ist trist und häßlich, all das wäre eigentlich nicht so meins, aber der Film ist sensibel und aufrichtig, und ich mag ihn. Später begegne ich einem Bekannten, der ihn auch gesehen hat und sagt, ihm sei die Hauptfigur dann doch etwas zu antriebsarm gewesen, und da kann ich schlecht dagegenhalten. Wenn man das Medium Film als Gefäß für einen Inhalt mißversteht, dann könnte man hier den Inhalt extrahieren und der wäre genau in der momentan (noch) dominanten ideologischen Strömung: Der Mann als passiver, geradezu vegetativer Jammerlappen, als Problem in der Dauerkrise, der am Ende ganz bei sich ist, als er mit seinem Kind spielt (das, Achtung Spoiler, doch nicht abgetrieben wurde) und der vom Film sozusagen selber infantilisiert wird. Auch die anderen Männer sind tendenziell kindisch, Frauen weitgehend abwesend, aber im Zweifelsfall souverän und Herrinnen des Geschehens. Ja, man kann den Film so “lesen”, und es kann gut sein, dass die Programmkommission genau das getan hat. Ich persönlich sehe Filme aber nicht so. Ich freue mich, wenn der Blick auf die Menschen nicht allzu sehr vom Kunstwollen verstellt ist, wenn die Situationen stimmig und die Dialoge gut sind, denn das ist schon sehr viel, das ist mehr, als beispielsweise die ganze Berliner Schule meistens zustandegebracht hat, und da ist es mir dann nicht so wichtig, ob der Mann jetzt ein Würstchen oder die Frau eine Furie ist, denn solange der Film mich davon überzeugen kann, dass die Figuren wirklich existieren, solange ist das nicht männer- oder frauen- oder sonstwasfeindlich, sondern: Kino.
Die Sitze in der Uber Eats Verti O2 Mercedes Allianz BMW Smart Music Hall sind unbequem, man kann sich nicht so richtig reinfläzen, das haben sie mit den Sitzen im Friedrichstadtpalast gemeinsam, in dem früher die Wettbewerbswiederholungen liefen, die sind auch winzig, ungefähr so wie die Möbel in Schlössern aus dem 16. Jahrhundert oder Ritterburgen aus dem Mittelalter, als die Menschen noch kleiner waren. In der DDR, die den Friedrichstadtpalast erbaut hat, waren sie anscheinend auch kleiner, und in der Uber Eats Aventis Toyota BASF Erdinger Weißbier Music Hall rechnet man anscheinend auch mit kleineren Menschen, vermutlich etwa mit den Größenmaßen, mit denen Fluglinien auch ihre Sitzabstände berechnen. Nach dem Film verläßt man den Ort des Geschehens dann nicht etwa durch das Treppenhausfoyer, durch das man hineinkam, sondern wird durch den Hinterausgang nach draußen geschleust. Eine lange Menschenschlange wälzt sich also durch ein großes, kahles, nacktes, leeres Betontreppenhaus, vier Stockwerke hinunter, jedes sieht exakt gleich aus, es könnten auch zehn oder fünfzig Stockwerke sein, das wäre eine schöne Idee für einen existentialistischen Film, ähnlich wie “Der Würgeengel” oder “Warten auf Godot”: Eine Gruppe von Kinobesuchern trottet ein Treppenhaus hinunter, das einfach kein Ende nimmt und auf jedem Stockwerk wieder genau gleich aussieht, es geht einfach nur immer abwärts, aber man landet nie irgendwo. Grandiose Metapher für das Leben, die moderne Gesellschaft, den Westen, die Menschheit, das globale Finanzsystem, irgendwas, alles. Ganz nebenbei frage ich ich, ob das eigentlich sicherheitstechnisch okay ist, heute muß doch immer alles Fluchtweg und barrierefrei sein, aber hier müßte nur einer “Hilfe” oder “Feuer” oder “Allahu Akhbar” schreien, und es gäbe vermutlich eine Panik mit Toten und Verletzten. Da niemand schreit, steht man dann hinten, quasi am Hinterende, vulgo “Arsch” des Gebäudes, und muß wieder ganz außen herum nach vorn gehen, weil man sein Fahrrad auf dem Uber Volkswagen Lidl Nestlé Chrysler Chevrolét General Motors Platz geparkt hat.
Zuvor war ich schon auf einer Veranstaltung, auf der mir jemand berichtet, eine uns beiden gut bekannte Berlinale-Veteranin habe gesagt, sie habe noch nie eine Berlinale erlebt, auf der schon am ersten Tag alle derartig im Eimer, kaputt und erledigt gewesen wären. Später gehe ich dann auf eine Veranstaltung, bin aber so im Eimer, kaputt und erledigt, dass ich schon beim Rausgehen wieder vergessen habe, was da eigentlich los war und um was es ging. Morgen mehr, ich gehe jetzt in mein Uber Eats Ikea Sanofi Pfizer Boeing Rheinmetall Bett.
3 Responses to Berlinale 2025, Tag 4: Ein Besuch in der Uber Eats Music Mercedes O2 BASF Rheinmetall L’Oréal Music Hall.