Berlinale 2025, Tag 5: Mein Name ist Hallo und ich bin wunderbar.

Mir ist wieder eingefallen, was die gestrige bzw. vorgestrige Veranstaltung war. Es war der Regie-Talk, organisiert u.a. von der wunderbaren Monika Wojtyllo, die ich unter anderem für ihre unablässige Beharrlichkeit und ihre allseitige Vernetztheit sehr bewundere. “Wunderbar” ist ein Attribut, das im Filmbranchen-Speak freihändig ausgeteilt wird, ich habe schon Premieren beigewohnt, bei denen am Ende fünfzig wunderbare Leute auf der Bühne standen, das ist auch jedesmal ganz wunderbar, auf mich wirkt das nur immer so, als gäbe es die jeweilige Person mehrmals, und das Attribut “wunderbar” diene der genaueren Eingrenzung, ungefähr so, wie wenn man mehrere Tassen oder Autos besäße und zu seinem Partner sagen würde: “Gib mir bitte die grüne Tasse” oder “heute fahren wir mal mit dem blauen Auto”. Wenn also die wunderbare Erika Mustermann, Szenenbildassistentin oder Förderreferentin, auf die Bühne gebeten wird, dann stelle ich mir das so vor, dass sich eine weitere, ansonsten identische Erika Mustermann im Saal befindet, die halt nur leider nicht wunderbar ist und daher nicht auf die Bühne darf.

Hier hat also heute die wunderbare Monika Wojtyllo (die andere kenne ich nicht) eine Veranstaltung organisiert, bei der verschiedene Podiumsdiskussionen abgehalten werden, und hinterher ist Party. Ich war da letztes Jahr selber auf einem Podium und habe irgendwas über künstliche Intelligenz gesagt, was genau weiß ich nicht mehr, müßte ich jetzt hier nachlesen oder ChatGPT fragen. An dieser Stelle lege ich ein Bekenntnis ab: Ich gehe prinzipiell nicht zu Podiumsdiskussionen und nicht zu Preisverleihungen, wenn ich nicht zwingend muß. Diese beiden Veranstaltungsgattungen haben ganz bestimmt ihren Sinn, aber ich lasse es trotzdem. Wer schreibt, der ist gezwungen, seine Gedanken wenigstens irgendwie zu sortieren, und außerdem kann ich beim Lesen das Tempo selber bestimmen und zudem jederzeit aufhören, wenn der Schreiber seine Gedanken doch nicht sortiert hat oder gar keine besitzt. Wer hingegen auf einem Podium sitzt oder einen Preis bekommt, der redet irgendwie irgendwas ins Ungefähre oder bedankt sich der Reihe nach bei 50 wunderbaren Mitstreitern, und das ist mir, Verzeihung, zu fad, außerdem kann ich es nicht beschleunigen, und Aufstehen und Gehen wäre ein unnötiger Affront, also bleibe ich fern. Ja, jetzt wißt ihr es. Sorry, not sorry. Aus Solidarität zur wunderbaren Monika Wojtyllo gehe ich trotzdem zu dieser Veranstaltung, und was dort dann stattfindet, hat etwas von absurder Performancekunst: Ein langestreckter Raum, dessen größter Teil von einer voluminösen Bar eingenommen wird, hinten dann eine kleine Fläche, und dort ist kein Podium, sondern ein paar ebenerdige Stühle und dort wird diskutiert, während im Rest des Raums 200 Menschen Bier trinken und sich anschreien.

Manchmal haben Filme so Momente, in denen die Sprache komplett übertönt wird von anderer Sprache oder von irgendwas. Im 160minütigen Berlinale-Eröffnungsfilm von Tom Tykwer, der hier schon erwähnt wurde, gab es eine Szene, in der Mutter und Tochter sich anschreien und man kein Wort versteht, eine Art abstraktes-Schrei-Kunstwerk, wobei der Effekt wiederum durch die Untertitel zerstört wird, konsequenterweise hätte man die an dieser Stelle also weglassen müssen, oder im Hitchcock-Klassiker “Der unsichtbare Dritte”, den Filmkenner natürlich beim Originaltitel “North by Northwest” nennen, was aber an Distinktionsgewinnpotential seit einigen Jahren etwas nachgelassen hat, seit es nämlich in der ARD eine Serie namens “Nord bei Nordwest” gibt, inzwischen ist es eher umgekehrt, da holt man sich die Filmkenner-Extrapunkte, wenn man den alten deutschen Verleihtitel von 1959 parat hat, und der lautet “Der unsichtbare Dritte”, ich schweife ab, jedenfalls gibt da gibt es auch eine Szene, in der dem Protagonisten endlich jemand erklärt, was es eigentlich mit dem ganzen Plot auf sich hat und wer der zumindest in Deutschland titelgebende unsichbare Dritte eigentlich ist, aber genau in diesem Moment laufen sie an einem startenden Flugzeug vorbei, und man versteht leider nichts. Dieser Szene hätten Untertitel wiederum sehr gut getan, das wäre ein subversiver Anschlag von einem Element des Films auf ein anderes gewesen, genau wie bei Tom Tykwer, wenngleich dort eher unbeabsichtigt, und so etwas gefällt mir. Ich wollte auch schon immer mal einen Schwarzweißfilm drehen, in dem die Figuren ständig von Farben reden, also “gib mir bitte mal die blaue Tasse” und “heute fahren wir mit dem grünen Auto” und “soll ich das rote Kleid anziehen oder das gelbe”.

Ich bin also beim Regie-Talk, trinke aus einer grünen Flasche, trage ein rotes Kleid und talke an der Bar mit einem Bekannten, während wenige Meter entfernt verschiedene wunderbare podiumsdiskutierende Filmemachende sitzen und ich weiß nicht was sagen. Vielleicht erklären sie den Plot von “Der unsichtbare Dritte” oder ziehen nach Herzenslust über Fernseh- oder Netflixredakteure her, dafür wäre hier die ideale Gelegenheit, denn das ist wie Meinungsfreiheit in Europa 2025, man kann zwar alles sagen, es kommt dann halt nur die Polizei beziehungsweise es versteht einen halt nur keiner. Und dass man sich über Fernseh- bzw. Netflix- bzw. Amazon- bzw. Apple- bzw. Paramount-Plus-oder-egal-was-Redakteur*innen nicht kritisch äußern sollte, wenn man von ihnen weiter mit Arbeit versorgt werden will, das kapiert wirklich jeder Depp.

Als ich vor Jahren von einem norddeutschen Rundfunksender, dessen Namen ich hier nicht nennen möchte, zum dritten Mal in Folge mit einem Exposé beauftragt worden war und allerhand viel Arbeit für nicht allzuviel Geld hineingesteckt hatte und mir das dann zum dritten Mal abgesagt worden war, da dachte ich mir allerdings ein gepflegtes “Fuck You” und erwähnte diesen Umstand in einem Zeitungsbeitrag. Daraufhin rief mich der Fernsehspielchef dieses Rundfunksenders an einem Berlinale-Mittwoch oder Donnerstag morgens um halb neun erzürnt an, wollte eine Entschuldigung, redete eine halbe Stunde auf mich ein und brach das Gespräch dann in einem Sorry-muß-jetzt-leider-weg-Tonfall ab, der klang, als wollte ich was von ihm und jetzt wäre meine Zeit um. Ich konnte nur erwidern, dass er mit seinem Laden doch bitte auch mal öffentlich für seine Entscheidungen geradestehen soll, schließlich gibt er ja öffentliche Gelder aus (in meinem Fall gleichwohl nicht allzu viele), und ich werde ja für meine Arbeit schließlich auch öffentlich kritisiert. Irgendwie fühlte ich mich aber auch geehrt, denn ein halbstündiges Telefonat mit einem öffentlich-rechtlichen Fernsehspielchef hatte ich bis dato noch nie gehabt und seitdem auch nie wieder. Das Projekt, um das es damals ging, fand dann noch eine glückliche Wendung, es entstand bei einem anderen Sender, nämlich dem HR, und trug den Titel “Murot und das Murmeltier”. Über den dortigen Redakteur würde ich nie ein schlechtes Wort verlieren, egal ob man mich hört oder nicht, vor allem dann nicht, wenn er endlich mal den Stoff lesen würde, den er schon seit Monaten oder einem knappen Jahr von mir auf dem Schreibtisch hat.

Die absurd performative Podiumsdiskussion mündet in eine hemmungslose Party mit dem derzeit angesagtesten DJ-Duo der Branche, nämlich meinen geschätzten Bürokollegen Pola Beck und David Wnendt (jeweils wunderbar). David hat vor Jahren auch mal einen “Tatort” für den erwähnten Rundfunksender gedreht und hinterher in der Presse öffentlich bekanntgegeben, dass er sich diese Erfahrung kein zweites Mal gönnen möchte, wurde aber trotzdem nicht gecancelt, au contraire, er dreht weiterhin schlachtschiffartig großformatige Kinoerfolgsfilme. Ich nehme das als Hoffnungsschimmer und sage weiter, was ich denke.

In dieser ganzen Schilderung bin ich übrigens noch im vierten Tag hängengeblieben. Außerdem bin ich mir nicht sicher, ob ich irgendwas schon einmal geschrieben habe. Vermutlich ja. Also habe ich die Probe aufs Exempel gemacht und ChatGPT gefragt: Hat der Filmemacher Dietrich Brüggemann auf seinem Berlinale-Blog schon einmal über die Inflation des Begriffs „wunderbar“ beim Reden über Personen in der deutschen Filmbranche geschrieben?
Die Antwort lautete:
Ja, Dietrich Brüggemann hat in seinem Berlinale-Blog einen Beitrag mit dem Titel „Verwunderbar!“ verfasst, in dem er sich kritisch mit der inflationären Verwendung des Begriffs „wunderbar“ in der deutschen Filmbranche auseinandersetzt. In diesem Beitrag thematisiert er, wie häufig und unreflektiert dieses Adjektiv verwendet wird, insbesondere bei der Beschreibung von Personen innerhalb der Branche. Leider ist der genaue Inhalt des Artikels in den verfügbaren Quellen nicht vollständig einsehbar.
Klingt super, ist nur kompletter Käse. Zwar gibt es eine Kolumne mit diesem Titel in EPD Film aus dem Jahr 2018, die ist nur erstens nicht von mir und handelt zweitens von etwas ganz anderem, was auch ChatGPT auf Nachfrage denn auch ungerührt zugibt.

Es gibt einen Monty-Python-Sketch, in dem jemand im Fernsehen behauptet, sämtliche Dramen und auch die Sonette von William Shakespeare geschrieben zu haben, und als der Moderator einwendet, Shakespeare sei doch schon 300 Jahre tot, erwidert er: Das ist in der Tat der einzig schwache Punkt in meiner Argumentation. Ungefähr so fühlt man sich bei solchen Konversationen mit ChatGPT. Man kann das als drollige Eigenheit einer Technologie in den Kinderschuhen abtun, aber mir scheint es doch von ziemlich zentraler Relevanz, dass die Computertechnologie in dem Moment, in dem sie immerhin zu einer Art Intelligenzsimulation in der Lage ist, zugleich nicht mehr in der Lage sein soll, das zu tun, was doch eigentlich ihre ureigenste Kernkompetenz sein sollte: Messen, zählen, rechnen. Kürzlich, als mal wieder irgendein offener Brief durch die Öffentlichkeit ging, war ich zu faul zum Zählen und wollte von ChatGPT wissen, wieviele Unterzeichner der Brief denn habe. Erst waren es 217, dann auf Nachfrage 436. Offenbar ist also niemand in der Lage, diesen möglicherweise hochintelligenten Sprachmodellen ein zweites, vergleichsweise strunzdummes nachzuschalten, das einfach nur die nackten Fakten überprüft, und was das nun wiederum über das ganze Unterfangen “Künstliche Intelligenz” aussagt, das wird mir als Frage zu komplex, da reicht meine Intelligenz nicht, da müßte ich ChatGPT fragen, aber da dreht sich die Katze in den Schwanz und beißt sich im Kreis.

An Tag 5 bin ich dann bei einem Schauspielagenturempfang, bei dem man sich seinen Namen auf ein weißes Etikett schreiben und an die Kleidung heften soll. Kurz überlege ich, “Der wunderbare Dietrich Brüggemann” zu schreiben oder gar “Der wunderbare Dietrich Allianz Daimler UberEats Music Man”, doch dann ist mir das zu lang, mir ist sogar mein eigener Name zu lang, ich schreibe einfach “Hallo”. das erweist sich als prima Eisbrecher und Konversations-Starter, und dann rede ich trotzdem nur mit Leuten, die ich schon kenne. Danach fahre ich ans Spreeufer, setze mich in die “Ständige Vertretung”, weil da die Sonne reinscheint, und schreibe den gestrigen Blogeintrag über die Uber Eats Music Lockheed Boeing Skoda Hall. Danach fahre ich zum Arte-Empfang in die Akademie der Künste, beziehungsweise zum arte-Empfang, arte wird nämlich glaube ich kleingeschrieben, und diese Eigenschreibweise übernehmen viele Leute, man steckt da immer in einem gewissen Dilemma, das ist ähnlich wie bei MacBook oder iPod oder AirPods oder iMessage oder iPhone, man macht sich irgendwie zum Konsumsklavenkomplizen, wenn man diese leicht affige Markenschreibweise mitmacht. Arte (großgeschrieben wegen Satzanfang) ist nun nicht Apple, und wenn arte kleingeschrieben werden will, komme ich diesem Wunsch gern nach. “Bei uns wird arte kleingeschrieben”, das wäre doch ein schöner Slogan, oder auch “Wir schreiben uns selber klein”.

Schluß jetzt für heute, der wunderbare Fernsehspielchef hat angerufen und sagt, ich soll das alles löschen. Mehr zu arte dann morgen.

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