Berlinale, Tag 2

Heute gehe ich zum Empfang der bayerischen Filmförderung, und da fällt mir auf, dass fast niemand mehr seinen Festivalausweis an einem Band um den Hals trägt. Früher hat das jeder gemacht. Als ich vor vielen Jahren die glitzernde Welt der Filmfestivals zum ersten Mal betrat, da tat ich, was die Kinder nun mal tun: Ich imitierte die Erwachsenen und hängte mir meinen Festivalausweis um den Hals. Dann war das halt so, man lief so herum, bis eines Tages bei irgendeinem Festivalgespräch irgendein alter weißer Mann neben mir stand und sinngemäß sagte: Ich bin doch nicht bekloppt und hänge mir so ein Hundehalsband um. Eigentlich hat er recht, dachte ich mir, und seitdem steckt der Festivalausweis im Portemonnaie neben Personal- und Organspendeausweise und wird genau wie dieser hervorgeholt, wenn man ihn braucht. Das war vielleicht im Jahr 2015, und jetzt machen es anscheinend alle so.

Natürlich signalisiert der Ausweis, egal ob sichtbar oder unsichtbar getragen, die Zugehörigkeit zu einer auserwählten Gruppe. In Cannes wird das besonders weit getrieben, da kommt man ohne Ausweis überhaupt nicht aufs Festivalgelände, und dann gibt es noch eine verwirrende Vielzahl an hierarchischen Ausweis-Abstufungen, die durch bunte Streifen und Sternchen kenntlich gemacht werden. Irgendwie bin ich nie das Gefühl losgeworden, dass dieses Getue um auserwählte Zirkel eigentlich gegen den Geist des Kinos ist, das ja ursprüngliche eine sehr demokratische Kunst war – der Eintritt ist im Vergleich zu Theater und Oper billig, es werden keine großen Schranken aus Bildung und Distinktion errichtet, es ist ein Jahrmarktvergnügen, wo jeder, der zehn Pfennige erübrigen kann, rein darf. Auf der Produktionsseite hingegen ist Film äußerst undemokratisch, exklusiv und restriktiv, einen Film überhaupt machen zu können ist schon ein unerhörter Erfolg, auch in unseren komplett geförderten europäischen Produktionslandschaften, denn dieses viele Geld zieht eben auch eine große Menge an Leuten an, die es haben wollen, und so kloppen sich immer zuviele Leute um zuwenig Geld, und am Ende sind da zuviele Filme für zu wenige Zuschauer. “You have to fight to get into the bloody war”, soll mal ein Produzent ausgerufen haben. Das war allerdings in Hollywood, wo nicht so viel Staatsknete unterwegs ist, aber Filmemachen dafür noch teurer und mit noch mehr Hysterie umgeben.

Deutschland ist ja ungeheuer international und weltoffen geworden, aber es wird immer noch miserables Englisch gesprochen, das fällt einem auf, wenn ausnahmsweise mal jemand eine Rede auf Englisch zu halten versucht. Und alle positionieren sich “gegen rechts”, das ist nach “Maske tragen und zuhause bleiben” und “Lasst euch impfen” und “Stand with Ukraine” das derzeitige Ding. Zwischendurch war noch irgendwas mit Israel, aber da war nicht so richtig klar, was man sein mußte, für oder gegen Gaza oder Israel. Ziemlich lustig finde ich es, wenn genau dieselben Leute, die auf jeden fahrenden Hurra-Hashtag-Zug aufspringen, dann behaupten, es seien die anderen, also die “Rechten”, die “einfache Antworten auf komplexe Fragen” bieten würden. Das ist wirklich die stets wiederkehrende Formel: Verführerisch einfache Antworten auf komplexe Fragen. Aber vielleicht bin nur ich es, der da eine gewisse Diskrepanz sieht.

Es ist bekanntlich meine erste Berlinale seit dem enthemmten Irrsinn, den ich mit ein paar Freunden vor drei Jahren mit ein paar lustigen Videos losgetreten habe, und was wirklich auffällt: Ständig kommen irgendwelche Wildfremden und bedanken sich, gratulieren, äußern Anerkennung. Und viele andere, nicht wildfremde sagen im Gespräch, dass sie die gesellschaftliche Stimmung auch grauenhaft fanden und aus dem Kopfschütteln bis heute nicht herausgekommen sind. Ansonsten ist Corona total weg. Maske und Abstand ist ein Witz von vorgestern. Die neue Normalität, von der sich im Frühjahr 2020 alle einig waren, dass sie AB JETZT FÜR IMMER gelten würde und eine Rückkehr zur alten Normalität GARANTERT NIEMALS passieren würde und dass das auch gut sei, weil unsere bisherige Lebensweise so AUF GAR KEINEN FALL hätte weitergehen können, also dass wir ab sofort quasi immer mit Maske und Abstand und Kontaktreduktion zuhause sitzen würden – diese “Neue Normalität” ist verschwunden und vergessen, und je eifriger jemand sie bejubelt hat, desto weniger will er daran erinnert werden.

Heute ist Vollversammlung der Deutschen Filmakademie. Auf dem Programm steht ein Gespräch mit Daniel Kehlmann, geführt von Ulrich Mattes, zum Thema “Wie politisch ist die Kunst”. Das finde ich eine interessante Wahl, da muss ich an die Zeit vor drei Jahren zurückdenken, als die Kunst mal kurz sehr politisch wurde und genau derselbe Ulrich Mattes vor laufender Kamera meinte, wir, also die Mitwirkenden der Aktion „Allesdichtmachen“, seien ja anscheinend “balla-balla.“

Ich frage mich, warum da nicht Ulrich Tukur sitzt oder Jan Josef Liefers oder Volker Bruch. Die hätten doch vielleicht substantiellere Beiträge zum Thema parat als jemand, dem im Zweifelsfall nichts besseres einfällt, als den eigenen Kollegen (und zwar wohlgemerkt als oberster Würdenträger der Branche) zu verkünden, sie wären balla-balla. Nichts wäre einfacher gewesen, als wohlgesetzte präsidiale Worte zu finden, irgendwas von Meinungsfreiheit und Kunstfreiheit gerade in Zeiten der Kontroverse (wann denn sonst) hätte einem unschwer einfallen können, aber nein, balla-balla.

Die Filmakademie organisierte damals einen Online-Vortrag (natürlich keine Debatte, wie es die Engländer gemacht hätten) von einem Philosophieprofessor zum Thema “Dynamiken der Radikalisierung” oder so ähnlich. Wir, die Protagonisten der ganzen Aufregung, waren zunächst gar nicht vorgesehen, man wollte über uns reden, aber um Gottes Willen nicht mit uns. Auf Beschwerde hin durften wir uns dann doch dazugesellen, aber als wir uns dann äußern wollten, wurde uns unter dem Hinweis auf Redezeit der Ton abgedreht. Aber Ulrich Mattes kriegt jetzt so viel Redezeit, wie er will. Ich bin damals in Reaktion auf genau diesen Vorfall der Akademie beigetreten, quasi unter Protest, während andere unter Protest ausgetreten sind, aber ich dachte mir: Nee, jetzt rein in die Institutionen und da den Mund aufmachen.

An Ulrich Mattes hätte ich eine ganz simple Frage: Steht er weiterhin zu seiner Aussage von damals? Oder nicht mehr? Diese beiden Möglichkeiten sehe ich. Und wenn letzteres der Fall ist, dann wäre es vielleicht ein Anlass, das auch öffentlich zu sagen, die eigene Rolle zu reflektieren und die ganze Zeit überhaupt mal kritisch zu betrachten. Das wäre ja vielleicht sowieso die Rolle der Kunst. Aber da liege ich natürlich falsch, die Rolle der Kunst ist, das “current thing” zu supporten, also den Hashtag zu feiern, der gerade angesagt ist. Schon der Hashtag von vorgestern könnte einen in Schwierigkeiten bringen. Ich würde gerne mal rausfinden, was passiert, wenn ich mich mit einem Schild auf den roten Teppich stelle, auf dem steht “Impfen ist Liebe”. Leider fällt mir das erst jetzt ein, aber dann mache ich es halt nächstes Jahr.

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