Das Wort “genial” wird heutzutage inflationär verwendet, aber der geniale österreichische Comiczeichner Mahler hat einen genialen Cartoon gezeichnet, in dem ein “typisch österreichischer Film” dargestellt ist. Ein Männchen sagt zum anderen: “Blas mir einen”, und das andere Männchen antwortet: “I will sterben”. Man kann eigentlich nur hinzufügen, dass nicht nur ein typisch österreichischer, sondern auch ein typisch deutscher Berlinale-Beitrag und überhaupt ein typischer Berlinalefilm so aussieht.
Dazu später mehr, jetzt erstmal in die Akademie der Künste zur Verleihung des Preises der deutschen Filmkritik. Vor acht Jahren habe ich den selber gewonnen, und zwar für das Drehbuch zu “Heil”. Ich sehe die Kritiker generell sehr kritisch, aber wenn sie mir Preise geben, dann mag ich sie natürlich gern, obgleich ich dieses ganze Ding mit den Preisen auch kritisch sehe, aber man kann sich ja keine eigene Welt erfinden, sondern muß die nehmen, die man hat, und da gibt es halt Preise, und die will man gewinnen. Den Preis für Schnitt (oder Montage oder Editing) kriegt Andreas Wodraschke für seine Arbeit an “Sonne und Beton”. Die Moderatorin fragt ihn, ob sie im Schneideraum die Musik öfter mal laut aufgedreht hätten, Wodraschke erwidert, nein, das hätten sie nicht getan, und an dieser Stelle möchte ich aufspringen und protestierend ausrufen: Von wegen! Ihr habt es ganz schön krachen lassen! Ich saß nebenan, denn der Schneideraum, in dem dieser Film geschnitten wurde, ist nämlich Teil meiner kleinen Bürogemeinschaft (zur Gründungszeit sagte man noch nicht Coworking Space), die ich vor vielen Jahren mit ein paar Freunden (damals sagte man noch nicht Freund*innen) ins Leben rief, als die Filmhochschule vorbei war und ich keine Lust hatte, fortan immer zuhause oder in Cafés zu sitzen. Da wurde also “Sonne und Beton” geschnitten, und da kamen ein halbes oder Dreivierteljahr lang fette Beats durch die Wand. Es hat mich nur nicht besonders gestört, und wenn doch, habe ich halt an die Tür geklopft, ach was, gehämmert, und um Lautstärkereduktion gebeten. Ich mag meine Coworking-Bude nämlich samt der darin coworkenden Leute sehr gern, denn alles was da stattfindet, gibt einem das angenehme Gefühl, Teil einer sinnstiftenden Gemeinschaft zu sein mit dem, was man da so vor sich hinwurstelt. Dasselbe Gefühl oder dieselbe Illusion bekommt man übrigens auch auf der Berlinale. Allein die Energie dieser vielen Leute, die zusammenkommen, sich die Nächte um die Ohren schlagen und nichts als Film im Kopf haben, macht irgendwas mit mir. Die Idee zu “Kreuzweg” entstand auf einer Berlinale, und zwar, wenn man es ganz genau wissen will, auf dem Fahrrad auf der Potsdamer Straße, vor dem Sony Center, Fahrtrichtung Philharmonie. Der Unterschied zwischen der Berlinale und meiner kleinen Coworking-Community ist vor allem, dass es in letzterer auch vorkommen kann, dass wochenlang keiner auftaucht und man komplett allein da sitzt. Wir hatten sogar schon Mitmieter, die eingezogen sind, ihren Schnittplatz aufgebaut haben und dann jahrelang nicht mehr gesehen wurden. Auf alle Fälle herzlichen Glückwunsch an Andreas Wodraschke, und wenn’s nach mir geht, kann er jederzeit gern wiederkommen, auch wenn der nächste Film auf einer Baustelle oder in einem Stahlwerk spielt.
Abends gehe ich dann endlich mal in einen Wettbewerbsfilm. Heute hat der Film Premiere, der das zum Titel hat, was der geniale Comiczeichner Mahler eingangs schon erwähnt hat und was man in Berlinale-Filmen sowieso oft tun möchte: Sterben. Ich habe mir ja vorgenommen, mal positiver zu werden, und hier kommt die Gelegenheit, der Film ist nämlich wirklich und wahrhaftig und tatsächlich gut. Er hat kluge, doppelbödige, dem Leben abgelauschte Dialoge. Er ist dadurch lustig, ohne dabei den Ernst zu verlieren. Er bietet ein gar herrliches Wiedersehen mit Robert Gwisdek, mit dem ich vor langer Zeit gleich bei zwei Filmen die Ehre hatte, bevor er sich aus der Branche verabschiedete, um lieber Rapper zu werden. Matthias Glasner hat da anscheinend mehr oder weniger sein eigenes Leben verfilmt (die Rolle von Hans-Uwe Bauer heißt wahrhaftig “mein Vater”), und das finde ich ja ohnehin gut, wenn Leute das machen, denn das wird immer interessant und oft zwingend. Ich fand den Terence-Malick-Film “The Tree of Life” beispielsweise etwas merkwürdig, aber die Sequenzen in den 50er Jahren mit Brad Pitt als autoritärem Vater waren grandios, die waren nämlich garantiert verfilmtes eigenes Leben. “Sterben” ist ähnlich zwingend, die drei Stunden sind gefühlte zwei-zwanzig, die Musik von Lorenz Dangel ist ungewöhnlich und toll, nur die Figur von Lilith Stangenberg zieht es für mein Gefühl etwas herunter, denn diese junge Frau auf dem glamourös-krassen Selbstzerstörungstrip habe ich irgendwoanders schon ein- oder zweimal gesehen, aber egal, danach wird er wieder gut, der Film pustet irgendwas im Kopf frei, und das gefällt mir sehr. Außerdem sagt Robert Gwisdek in seiner Rolle als Komponist etwas sehr Tolles, grundlegend Wichtiges über Kunst und Kitsch, nämlich: “Es gibt einerseits Kitsch für die breite Masse, andererseits Kitsch für die Schlauberger, und ich kann mich gar nicht entscheiden, was ich schlimmer finde.“ Allein da möchte ich schon aufspringen und ausrufen: Endlich sagt’s mal einer! So isses! Und ein Großteil dieser Blas-mir-einen-ich-will-sterben-Berlinalefilme ist genau das: Kitsch für die Besserwisser und Schlaumeier!
Da nehme ich “Sterben” aber ausdrücklich raus, der ist klug und groß und wird bestimmt irgendwas gewinnen.
Der Body Count ist für einen Film mit diesem Titel eher moderat. Wir haben am Ende drei Tote.
Dann: Standing Ovations.
Danach: Party. Lars Eidinger legt auf.
Am Anfang der Party auflegen, bevor Lars Eidinger auflegt, ist vermutlich der undankbarste Job des Festivals. Als Eidinger dann auflegt, halten alle ihre Handys in die Höhe und dokumentieren, wie Lars Eidinger auflegt.
Habe ich dann natürlich auch gemacht. Das Foto ist aber unscharf und verwischt. So soll es sein.
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