Berlinale, Tag 4

Heute ist Welttag der Künstlichen Intelligenz. Das habe ich mir zwar gerade ausgedacht, aber das macht die sogenannte Künstliche Intelligenz ja auch die ganze Zeit. Man stellt eine Frage, dann fabuliert der Algorithmus sich irgendwas zusammen, und am Ende steht da, ich wäre der Regisseur von “Babylon Berlin”, und auf Nachfrage wird kleinlaut zugegeben, das sei falsch, ich sei der Regisseur von “Notruf Hafenkante” und “Das Lachen der lustigen Landfrauen” oder so.

Bevor ich jetzt weiter auf dem KI-Gaul herumreite, ein scharfer Themenwechsel, weil mir gerade noch was anderes einfällt: Schon vorgestern sprach ich auf einem Agenturempfang mit einem Schauspieler, der gebürtiger Hamburger und als solcher ein großer Lokalpatriot war und der sich beklagte, dass es gar keinen wirklich Hamburger Tatort gebe. Der, den es gebe, spiele nämlich immer eher im Umland. Mir fehlt da der Überblick, aber wenn das so sein sollte, dann wäre das natürliche ein schmerzliche Lücke in der Tatortlandschaft. Hamburch, Diggä, hat eine Identitäit, deren Auss-trahlung schon haat an Penetranz grenzt, näch! Ich sach nur: Schanze, Doum, Bunkä, Landungsbrücken, Reeperbahn, Fischbrötchen, Hafen, Flora, Alster, Altona, etcetera! Der besagte Schauspieler (übrigens nicht nur Hanseat, sondern nebenbei auch Afghane) war ein ausgesprochen sympathischer junger Zeitgenosse, der als Hamburger Tatort-Kommissar ganz bestimmt eine hervorragende Figur machen würde. (Ich bin mir nicht sicher, ob ich seinen Namen verraten soll, man kann die Dialektik der Branche schlecht einschätzen, also wer es wissen will, möge mir eine Mail schreiben). An seiner Seite bräuchte man dann noch eine biodeutsche starke Frau und fertig ist das Tatort-Team. Vielleicht bräuchten die beiden dann auch “Brüche” und “Abgründe”, sie ritzt sich und er war heroinabhängig, vielleicht aber auch nicht. Für mein Gefühl ist die Zeit der Kommissare mit Brüchen und Abgründen auch schon wieder vorbei, die machen nämlich höchstens zwei oder drei Filme lang Spaß, dann nervt es, und man darf jetzt wieder normaler sein. Falls also beim NDR (genauer gesagt bei den Redakteuren Christian Granderath und Sabine Holtgreve) Interesse an der Entwicklung eines lokalpatriotisch lebensprallen Hamburch-Tatorts vorhanden sein sollte, erkläre ich mich hiermit freudig bereit. Wer dies liest und zufällig gerade im NDR unnerwechs ist, möge den beiden Bescheid sagen und dazu liebe Grüße, wir haben zwar schon öfter etwas miteinander versucht, hat leider nie geklappt, aber diesmal könnte es ein rauschender Hafengeburtstag werden, Leude, ich fühl das.

Dass bei der Berlinale allgemein viel abgesperrt ist, liegt irgendwie in der Natur der Sache, aber “gefühlt” wird es immer mehr. Vor dem Berlinale-Palast am Potsdamer Platz ist mittlerweile ein ungeheuer langes Stück Straße von Geländern umgeben, und wenn man einfach mal schnell von links nach rechts will, also beispielsweise von McDonalds zum Hyatt, dann wird man zu einem enormen Umweg gezwungen. Das ist, wie wenn man vom Großen Stern zum Zoo-Palast will, das wäre geradeaus total schnell zu machen, aber man muß halt einen Riesenumweg um den Zoo herum machen, oder wenn man zu Ostzeiten von Ost-Berlin nach Potsdam wollte, da mußte man einen Riesenumweg um Westberlin herum machen, es dauerte Stunden, Leipzig war im Grunde näher an Ost-Berlin als Potsdam. Nichts gegen West-Berlin und seinen Zoo, aber auch abseits der Berlinale ist immer mehr abgesperrt, in Lokalen beispielsweise heißt es immer öfter “please wait to be seated” und “wir zeigen Ihnen Ihren Platz”, und ich sehe das in gewisser Weise als Abbild der Gesellschaft, denn da wird einem auch der Platz gezeigt, den man einzunehmen hat. Vielleicht bin ich da in der Minderheit, aber ich bevorzuge eine Gesellschaft, in der man sich seinen Platz selber suchen darf, und außerdem führt das zu, Verzeihung, beschissenem Feng-Shui, wenn wunderschöne mondän-glamouröse Freitreppen und Eingangshalle mit irgendwelchen aus dem Keller geholten Schrottmöbeln oder Holzpaletten abgesperrt werden, damit die Gäste sich brav beim Concierge anstellen, der ihnen dann vor halbleerem Lokal verkündet, es sei leider alles voll und man müsse warten. Da ist dann gleich so miserable Energie, da gehe ich lieber wieder und setze mich irgendwo hin, wo ich will.

Vorgestern war ich schon beim Empfang vom Goethe Institut und traf da eine alte Freundin, die erzählt, dass sie drei Monate lang in der von ebendiesem Institut betriebenen Villa Kamogawa in Japan war. Bis vor kurzem konnte man sich da für ein Stipendium bewerben, jetzt nicht mehr, man muß jetzt vorgeschlagen werden. Wie und wodurch und von wem, bleibt mir zumindet bei einem kurzen Besuch auf der Goethe-Website unklar. Das scheint mir in die ähnliche Richtung zu gehen wie die eben erwähnten Restaurants: Wir zeigen Ihnen Ihren Platz. Wer von draußen oder aus der falschen Schicht oder aus der falschen Richtung kommt und keine Kontakte hat, der hat Pech, denn wir bleiben lieber unter uns.

Aber heute ist ja vor allem Welttag der deutschen Filmregisseur*innen, da gibt es Panels und Talks von mittags bis abends, und ich darf dabeisein, hurra. Natürlich redet man da vor allem von der Sau, die gerade nicht nur durchs Dorf getrieben wird, sondern das ganze Dorf über den Haufen rennt, nämlich der künstlichen Intelligenz, die in Zukunft nicht nur Drehbücher schreiben, sondern auch Regie führen, Musik komponieren und die Bilder nicht etwa drehen, sondern einfach generieren wird und sich das Endergebnis dann vermutlich auch anschauen und dazu ein Feierabendbier trinken wird. Mittags ist erstmal ein Vortrag von einem, der erzählt, wie man Chat GPT nutzen kann, um zu überprüfen, ob man kompatibel mit der angestrebten Zielgruppe bleibt, denn der Köder, so sagt er, müsse ja dem Fisch schmecken und nicht dem Angler. Als ich das höre, verlasse ich den Saal, gehe erstmal wieder nach Hause und schreibe den Blogeintrag von vorgestern (die Zeitebenen gehen in diesem Tagebuch ein wenig durcheinander, aber die Zeit, die man zum Schreiben braucht, ist nicht zu unterschätzen), und dann gehe ich zum Arte-Empfang, weil die mich netterweise eingeladen haben.

Dort stehen zwei Menschen, die ich schätze, und dazu ein dritter, gegen den ich auch nichts habe, der sich bei meinem Erscheinen aber abwendet und davongeht. Es ist der Berliner-Schule-Produzent, mit dem ich schon vor fünf Jahren ein denkwürdiges nächtliches Gespräch hatte. Vielleicht hat er einfach was anderes vor, vielleicht ist er mir immer noch böse, wer weiß. Selber schuld, ich hätte ja einfach den Mund halten und mit den Fischen heulen können. Wenn der jetzt in irgendeiner Jury oder Kommission oder Gremium sitzt und irgendwas von mir auf den Tisch kommt, dann senkt der bestimmt den Daumen, und aus vielen solchen Puzzleteilen werden Karrieren gemacht oder eben nicht. Man muß im Klüngel mitklüngeln, und damit mich hier keiner falsch versteht: Mache ich gern. Nix gegen Austausch und Gemeinschaft mit enthusiastischen Leuten, die gute Filme wollen. Meine Meinung sage ich im Zweifelsfall trotzdem.
Warum tue ich mir das an?
Ganz einfach: Weil ich ein gehorsamer Staatsbürger bin. Und als solcher wurde mir mein Leben lang gesagt: Wenn man von etwas inhaltlich überzeugt ist, dann soll man es äußern, auch gegen Widerstände und wenn man sich damit unbeliebt macht. Meines Wissens gilt diese Maxime weiterhin, aber wenn sie eines Tages kassiert wird und die neue Ansage lautet, dass man im Zweifelsfall den Mund halten und nur das sagen soll, was gesellschaftlich erwünscht ist, dann mache ich das natürlich und werde konform bis zum Exzess.

Bei Arte treffe ich eine Regiekollegin, die sagt: Na ja, wenn deine Tätigkeit durch KI ersetzt werden kann, dann hattest du ja schon vorher ein Problem. Ich pflichte bei und nehme mir vor, das auf dem Podium beim Regieverband genau so zu wiederholen. (Wenn die Kollegin Wert darauf legt, die Lorbeeren für diesen Satz einzustreichen, dann werde ich ihre Identität natürlich gern entschleiern, aber ich will ja niemanden ungefragt in meinen Blog zerren.)

Dann fahre ich zurück zum Regieverband, setze mich da mit einer lustigen Truppe, bestehend aus Anno Saul, Jobst Oetzmann, Radu Mihailenu und ein paar weiteren Leuten, deren Namen ich momentan nicht mehr recherchiert bekomme, auf ein Podium. Was KI und auch große Streaminganbieter angeht, brennt derzeit wirklich die Hütte, und ich bin natürlich absolut auf der Seite von Autorenrechten und europäischem Kulturbegriff samt unveräußerlichem Urheberrecht. Was man allerdings auch sagen muß: 90% of everything is crap. Wir können uns als Menschen noch so sehr überhöhen, der Großteil unserer Produktion ist trotzdem unorigineller Kram, der ungefähr so ist wie tausend Sachen, die es schon mal gegeben hat. Und das ist ja zufällig genau das Arbeitsprinzip der KI. Die macht auch Sachen, die so sind wie der Querschnitt aus Milliarden Sachen, die es schon mal gegeben hat. Ich bin skeptisch, ob KI jemals einen einzigen wirklich originellen Gedanken denken wird. Ist aber auch gar nicht so einfach. Deutlich einfacher, aber für KI auch kaum zu machen: Sich gemeinsam betrinken und schlechte Witze erzählen. Fußball gucken und herumbrüllen. Sex haben und sich davor oder danach fürchterlich mit der Freundin streiten. Oder auch: Sich die Gesamheit der derzeitigen Filmproduktion angucken, mit der eigenen Lebenserfahrung abgleichen und feststellen, dass da eine enorme Lücke klafft: Jeder und jede und wirklich alle, die ich kennen, schlagen sich auf die eine oder andere Art mit dem ganzen political-correctness-wokeness-Cancel-Culture-Komplex herum. Ich sehe aber weit und breit keine Filme über Leute, die sich damit herumschlagen. Wäre vielleicht schon “rechts”, wenn man das machen würde. Es wäre aber auch einfach eine ehrliche Erzählung aus dem Leben, das wir derzeit führen.

Wir sollten, finde ich, jedenfalls nicht nur auf unserer eigenen Kreativität und Einmaligkeit herumreiten, sondern auch die typischen Bedenkenträger, die Angsthasen und Hemmschuhe überzeugen, zu denken wie radikale Künstler und das zu ermöglichen, was noch nie da war. Wer einfach immer weiter den Kram macht, der schon tausendmal da war, der wird von Maschinen ersetzt werden, denn das können die besser. So einfach ist das. Natürlich muß der Köder dem Fisch schmecken und nicht dem Angler, aber fürs Filmemachen gilt das nur, wenn man sein Publikum wie einen Fisch betrachtet, den man fangen und totschlagen und essen will. Ich hingegen sehe Kunst nicht als Fisch, sondern Kommunikation und Austausch unter Menschen, ohne Angel und Köder und übrigens auch ohne Zielgruppe. Wenn KI mich mit sowas versorgen kann: Super. Her damit. Dann kann ich endlich, faul wie ich bin, die Füße hochlegen und keine Filme mehr machen, sondern nur noch Berlinale-Blog schreiben.

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