Berlinale, Tag 5

Ich wiederhole mich. Vor fünf Jahren habe ich nämlich auch schon mal festgestellt, dass die Leute ihren Festivalausweis nicht mehr um den Hals tragen. Das hatte ich total vergessen und habe es jetzt wiedergefunden. Wenn ich mich irgendwann beim Filmemachen wiederhole und Sachen mache, die ich schon vor fünf oder 15 Jahren gemacht habe, dann soll mir bitte irgendwer bescheid sagen. Andererseits ist man in der Kunst, wenn man was werden will, ja eigentlich gut beraten, die Variationsbreite gering zu halten und sich möglichst umfassend zu wiederholen. Wes Andersons Filme sind wiedererkennbarer als die von, sagen wir mal, Steven Soderbergh. Letztere sind mir trotzdem lieber. Wes-Anderson-Filme kann man mir, wie man so schön sagt, auf den Bauch binden. I don’t get it. Keine Ahnung, was das soll, wenn alle sich benehmen wie Schaufensterpuppen abwechselnd auf Speed und auf Valium. Es gibt da im derzeitigen amerikanischen Independentkino diese Masche, dass die Größenordnung der Reaktionen nicht stimmt. Die Akteure reagieren auf existentielle Ereignisse (Freundin ausgespannt, Mutter gestorben oder was auch immer), als hätte man ihnen schlimm auf den Fuß getreten. Auf Kinkerlitzchen hingegen folgt tödliches Beleidigtsein oder merkwürdig plumpe Gewalttaten. Das habe ich bestimmt auch schon mal irgendwo geschrieben und wiederhole es hiermit.

Lars Eidinger legt schon wieder auf. Diesmal bei der Party, die auf das Podiumsgespräch von gestern folgt. Davor hat eine Filmemacherin sich auf die Bühne getraut und ihn gefragt, ob er in ihrem Film mitspielen würde, und zwar als er selbst. Darauf erwiderte Lars Eidinger, Lars Eidinger sei die Rolle, die ihm am häufigsten angeboten würde, aber die wolle er nicht spielen. Ich verstehe das, würde aber gern mal einen Film machen, in dem Lars Eidinger einen Filmemacher spielt, der unbedingt Lars Eidinger besetzen will. Der Lars Eidinger im Film wird wiederum von Robert Gwisdek oder Matthias Brandt oder Otto Waalkes gespielt und entzieht sich allen Anwerbeversuchen. Das fände ich lustig. Außerdem müßten dann noch abwechselnd Campino, Dieter Bohlen und Oliver Kahn auftreten, die aber alle vom selben Schauspieler gespielt würden, bis dann irgendwann jemand im Film mit der Verschwörungstheorie ankommt, diese drei seien in Wahrheit ein und derselbe Mensch, was sich dann am Ende auch als zutreffend erweist. Und dann beschließt der von Lars Eidinger gespielte Filmemacher, Lars Eidinger einfach mit einem anderen Schauspieler zu besetzen, also nicht mit dem von Otto Waalkes gespielten echten Lars Eidinger, sondern beispielsweise mit Dieter Bohlen oder Heidi Klum.

Das Festival ist jetzt auf der Zielgeraden. Alles Wesentliche passiert an den ersten fünf Tagen. Danach ist die Branche weg oder im Koma oder wieder im Büro. Wer jetzt im Wettbewerb Premiere hat, steht schon damit in der zweiten Reihe, es sei denn, es läuft so wie bei “Boyhood” 2014, der am letzten Tag Premiere hatte, damit die Macher gleich zur Preisverleihung bleiben konnten. Unvergessen bleibt mir die Premiere meines allerersten Films “Neun Szenen” in der “Perspektive Deutsches Kino” im Jahr 2006, die war nämlich am aller-allerletzten Tag, am letzten Sonntag abend, als wirklich schon überall die roten Teppiche eingerollt und der Müll weggebracht wurde. Der Saal war begeistert, aber ansonsten hat niemand es mitgekriegt. Mit etwas mehr Selbstbewußtsein hätten wir damals gesagt: Nö, da warten wir lieber auf etwas besseres. Da hätte man sich aber aufspalten müssen in ein ehrgeiziges Über-Ich, das den Film bestmöglich positionieren will, und eine devote Assistentengestalt, die das dann im Auftrag weiterkommuniziert. Aber das wird einem auf keiner Filmhochschule beigebracht, da muß man selber drauf kommen. Mein nächster Film lief dann immerhin zur Eröffnung der “Perspektive”, und den danach wollte die Sektionsleiterin auch wieder haben, ich hingegen wollte lieber endlich mal im sonstigen Teil des Festivals unterkommen, aber daraus wurde nichts, da kam eine Absage von irgendeiner Assistentenperson, damit war für mich die Rolle der “Perspektive” als Tor zur Berlinale irgendwie entzaubert, und ich nahm mir vor, als nächstes einen Film zu machen, den der Wettbewerb nicht ablehnen konnte.

Vor einigen Tagen schon traf ich in einer Warteschlange auf eine Produzentin, so alt wie ich und auch mal an der HFF in Potsdam gewesen, die erzählte, dass man, wenn man für Netflix produzieren will, mindestens fünf Angestellte haben muß. Die wollen einen Head of Finance und Head of Creation und Head of whatever als Ansprechpartner. Ich sage darauf, dass ich auch schon mit dem Gedanken gespielt habe, mich in Mails als meine eigene Assistentin auszugeben. David Graeber beschreibt in dem Buch “Bullshit Jobs” eine ganze Kategorie von Tätigkeiten, deren Funktion darin besteht, Untergebene zu sein und dadurch dem Chef mehr Bedeutung zu verleihen, denn wer mehr Leute unter sich hat, ist schon dadurch weiter oben. Aber das kann man ja auch einfach simulieren, indem man sich eine Mailadresse namens office@website macht und dann schreibt: Liebe ARD, liebe Players, meine Name ist Stefanie Bornemann, ich bin die Assistentin von Herrn Brüggemann und wollte hiermit nachfragen, ob Sie für meinen Chef noch eine Einladung hätten. Die Produzentin, die ihren Laden auch als Ein-Frau-Unternehmen betreibt, ist Feuer und Flamme, und wir beschließen, dass wir das ab sofort, wenn es um Telefongespräche geht, füreinander gegenseitig machen werden: Sie ruft als meine Assistentin an und ich als ihr Adlatus.

Meine Berlinale-Maxime dieses Jahr ist klar: Vier Jahre nicht hiergewesen, zwischendurch ist Deutschland einmal kurz wahnsinnig geworden, alle wollten meinen Kopf und den von Volker Bruch, also spaziere ich jetzt einfach mal über die ganzen Empfänge und demonstriere den verehrten Kollegen mein eigenes Vorhandensein. Irgendwann reicht es aber, auch das will ich ja nicht allzu sehr wiederholen, also gehe ich jetzt doch mal ins Kino und gucke drei Filme. Das ist wiederum gelogen, einen dieser drei Filme habe ich schon am Freitag abend gesehen, aber jetzt fasse ich sie hier zusammen, weil mir das besser in den Kram passt, so geht Dramaturgie.

Im Panorama läuft der französische Science-Fiction-oder-so-Film “Pendant ce temps sur terre”. Eine junge Frau, die in einem Seniorenheim arbeitet und deren Bruder als Astronaut irgendwie verschollen ist, nimmt Kontakt zu einer außerirdischen Macht auf, die sich als leuchtender Schleimfaden in ihrem Ohr einnistet und ihr Befehle gibt. Es ist eine Art Variante auf “Invasion of the Body Snatchers”, die außerirdische Macht will noch weitere Menschen haben, zwischendurch gibt es eine etwas vom Drehbuch forciert wirkende Vergewaltigungsszene, die per Kettensäge beendet wird, und ein merkwürdig antiklimaktisches Ende, das ich erst nicht verstanden und dann wieder vergessen habe. “Funktionieren” tut das alles für mein Empfinden nicht, der Arbeitsplatz im Altenheim wirkt überaus real und das ganze Science-Fiction-Ding daneben krampfhaft ausgedacht und genauso behauptet wie die Statue des Astronauten, die auf einer Kreisverkehrsmittelinsel so offensichtlich preiswert vom Szenenbild hingestellt wurde, dass es fast weh tut. Was der Film aber kann, ist etwas, von dem alle deutschen Filme sich viele Scheiben abschneiden könnten, und zwar: Er feiert seine Hauptfigur (die Darstellerin trägt den für eine französische Schauspielerin ungewöhnlichen Namen Megan Northam), ihre Schönheit und Eleganz und Bewegung im dreidimensionalen Raum, wie es wirklich nur die Franzosen können. Werft mir ruhig das stumpfe Abfeiern von Nationenklischees vor, es ist einfach so, sorry, ich kann nichts dafür, und dass ich mich gern wiederhole, haben wir ja schon eingangs geklärt.

Später dann ein weiterer französischer Film, wieder mit “Zeit” im Titel: “Hors du temps” von Olivier Assayas. Zwei Brüder sitzen im Corona-Lockdown im Landhaus ihrer Kindheit, der eine ist voll von der Viruspanik erfaßt, er faßt die Amazon-Pakete nur mit Handschuhen an und guckt immer die neuesten Händewaschvideos, dem anderen geht diese Hysterie zunmehmend auf den Keks. Dazwischen gibt es autobiografische Off-Erzählungen zum Spielort des Films, der anscheinend auch das reale Kindheitshaus von Olivier Assayas ist. Der Film ist ziemlich lustig und ziemlich typisch französisch. Die Brüder und ihre Frauen sitzen im Landhaus und reden. Ab und zu brät einer sich einen Crêpe, und man macht Psychotherapie per Zoom-Konferenz. Der Viruspaniker ist Filmregisseur und im Grunde eine Witzfigur. Interessant ist die Publikumsreaktion: Es wird gelacht. Man kann die ganze Corona-Folklore nicht mehr so richtig ernst nehmen, das tut auch der Film nicht, und das funktioniert im Saal ziemlich gut. Vor zwei Jahren wäre hier vermutlich noch eisiges Schweigen gewesen, denn es ging ja schließlich um Menschenleben, jeder nicht desfinizierte Eierkarton konnte im Zweifelsfall einen Menschen töten, verdammt nochmal, und wer darüber Witze machte, der hatte ja wohl den Schuß nicht gehört, aber ich will mich ja nicht dauernd wiederholen, auch das wiederhole ich hiermit zum wiederholten Mal.

Interessant ist übrigens auch der Katalogtext des Films. Man muß die Berlinale dafür bewundern, dass sie es schafft, diese kurzweilige und kluge Komödie so zu beschreiben, als wäre es ein bleischwer antidramaturgisches Brett. Ich zitiere:

“Der Filmregisseur Etienne und sein Bruder Paul, ein Musikjournalist, verbringen zusammen mit ihren neuen Partnerinnen Morgane und Carole den Lockdown im Haus ihrer Eltern. Jedes Zimmer, jeder Gegenstand erinnert sie an ihre Kindheit und an abwesende Personen – ihre Eltern, Nachbar*innen … Wie viel trennt die Brüder voneinander und von ihren gemeinsamen Wurzeln? Während die Welt um sie herum immer beunruhigender wird, schleicht sich das Gefühl der Unwirklichkeit und eine verstörende Fremdheit in ihren Alltag ein.”

Chapeau, mesdames et messieurs. “Ein Gefühl der Unwirklichkeit und eine verstörende Fremdheit” – um ein Haar hätte ich mir den Film nicht angeschaut, denn mit sowas habe ich schon hundert quälende Berlinale-Stunden abgesessen. Zum Glück habe ich es doch getan.

Abends kam dann noch einer, aber den behandeln wir morgen, muß jetzt mal pennen.

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