Ich mach den Kram hier schon ziemlich lang, ich bin steinalt, ich hab alles gesehen. Seit ich mich erinnern kann, sitze ich in Festivalkinosälen und gucke Nachwuchsfilme. Da gibt es alle paar Jahre so eine Welle, da tritt jedesmal eine neue Generation an und rebelliert mit flashiger Optik und knalligem Soundtrack gegen die in Routine versackten alten Säcke. Zwanzig Jahre später sind die Rebellen von damals selber auf dem Weg zum alten Sack und drehen Soko Solingen, aber das ist der Lauf der Welt, who am I to judge. Als ich Ende 20 war, da hieß das angesagte Ding “Mini-DV-Wackelhandkamera”, in meinem unmittelbaren Umfeld entstanden No-Budget-Mini-DV-Wackelfilme, die dann explosive Hypes auslösten und Preise im oberen zweistelligen Bereich gewannen. Ich hatte damals nicht so Lust auf Mini-DV-Wackelhandkamera, also machte ich stattdessen einen Film aus zehnminütigen festen Einstellungen. Der Hype hielt sich in Grenzen. Aber vielleicht mache ich dafür mit 50 einen fiebrig-flashigen Film voller Jump Cuts über 19jährige, die sich im Nightlife das Hirn wegballern, und dann 30 Jahre später, mit 80, lege ich noch einen drauf und mache eine Orgie aus Halbsekundenschnitten über polytoxikomane 10jährige, ausschließlich mit Stroboskopblitzen beleuchtet, 82 gnadenlose Minuten lang. Aber ich schweife ab, ich wollte eigentlich was ganz anderes sagen, nämlich: In all diesen Jahren sind die Nachwüchse gekommen und gegangen, aber eins hat sich nie geändert, und zwar die Asynchronität der Bühnenauftritte. Typischerweise steht ein*e Filmemachende*r auf der Bühne und sagt: In der Rolle der Lina Luhmann bitte einen riesengroßen Applaus für die wunderbare Luna Lehmann! Daraufhin steht die wunderbare Luna Lehmann irgendwo im Saal auf und begibt sich gemessenen Schrittes zur Bühne, doch als sie dort ankommt, hat die Person auf der Bühne bereits fünf weitere wunderbare Menschen aufgerufen, also begegnen sich da auch die wunderbare Lena Lohmann, die wunderbare Julina Jacobs, die wunderbare Lilja Schulzinger und die wunderbare Agathe Bauer, außerdem die wunderbare Debütredakteurin und der wunderbare Music Supervisor, und man hat keine Chance, herauszufinden, wer wer ist, denn hinzu kommt, dass all diese wunderbaren Menschen beim Erklimmen der Bühne dem Publikum überwiegend das Hinterteil zuwenden. Am Ende stehen sie dann in einer langen Reihe auf der Bühne und schweigen vor sich hin, während die moderierende Person die regieführende fragt, wie die Arbeit mit der wunderbaren Kamerafrau war.
Man verstehe mich nicht falsch: Ich wüßte wirklich gern, wer wer ist. Man hört und sieht ja immer wieder tolle Sachen, und natürlich will ich dann wissen, wer die dazugehörigen Menschen sind, aber so habe ich wenig Chancen, es herauszufinden. Wenn der wunderbare Lars Eidinger auf die Bühne käme, dann würde ich den selbstverständlich auch von hinten erkennen, aber vielleicht verbirgt sich da irgendwo der wunderbare Lars Eidinger von morgen, und das muß man ja erstmal herausfinden.
Was mir außerdem noch einfällt: Man kann ja in Mitte oder Neukölln ohne Englischkenntnisse noch nicht mal mehr eine Tasse Kakao bestellen, aber kann mal bitte jemand den Berlinale-Conferenciers verraten, dass der englische Ausdruck für “Filmteam” nicht “film team” lautet, sondern “cast and crew”? Gern auch “the wonderful cast and crew”, wenn man der Meinung ist, dass die in der Mehrzahl wunderbar sind.
Wunderbar ist übrigens auch der Film, den ich gestern noch gesehen habe. Im Katalog steht: Sprengt die Grenzen der Vorstellungskraft, er ist gleichzeitig sehr realistisch im Stil und völlig surreal in seinem Konzept, und er zeigt, dass sogar die menschliche Mimik verzichtbar ist, will man Mitgefühl, Lachen oder Tränen hervorrufen. Es ist wie immer bei Berlinale-Katalogtexten: Ich habe überhaupt keine Ahnung, was mich da erwartet. “Sasquatch Sunset”, so heißt der Film, entpuppt sich dann als eine Art Mittelding aus 70er-Jahre-Actiontheater und bekifftem Teenagerwitz. Menschen in haarigen Affenkostümen laufen durch den Wald, popeln in der Nase, machen allerhand Blödsinn und begegnen schließlich den Spuren der Zivilisation. Es ist ein bißchen so, als wäre in “2001” der Monolith nie aufgetaucht und die Anfangssequenz einfach 90 Minuten weitergangen, nur mit mehr Spaß. Die Landschaftsaufnahmen sind majestätisch, die Musik ist gut, die SFX-Maske und die Kostüme sind erstaunlich professionell, und bei aller Quatschigkeit hat der Film einen gewissen ernsten Kern. Am Ende erfährt man dann, was man schon wußte, aber wieder vergessen hatte: In einem der Kostüme steckt Jesse Eisenberg, vor zehn Jahren noch als Facebook-Gründer in “The Social Network”, jetzt als Affenmensch unter Mammutbäumen, ist das ein Auf- oder Abstieg, ich bin mir nicht sicher. Unprofessionell erscheinen mir vor allem die Lautäußerungen der titelgebenden Viecher, die bestehen nur aus einem einzigen Laut, der so klingt wie ein ausgesprochenes Gendersternchen, also der berühmte “Glottisschlag” vor “-innen”. Die Sasquatche laufen also 88 Minuten lang durch den Film und sagen immer nur “*, *, *”, und ich freue mich, dass solche Kinoerlebnisse auf der Berlinale noch möglich sind. Ich freue mich allerdings auch, dass wir eine Flasche Rotwein in den Saal geschmuggelt haben.
Einen Tag später dann zwei Folgen “Zeit Verbrechen”. Der Erfolgspodcast wurde verfilmt, und zwar für den Streaminganbieter Paramount+, der dann aber im Zuge eines “Strategiewechsels” beschlossen hat, das fertige Werk doch nicht zu veröffentlichen. Die ganze Branche schüttelt die Köpfe, man kann ja über ARD und ZDF viel sagen, aber so etwas haben sie sich bisher meines Wissens noch nicht geleistet. Was genau mit den Filmen passieren soll, ist unklar, vielleicht werden sie nach dieser Berlinale nie wieder zu sehen sein, also einmalige Gelegenheit, nix wie hin. Ich habe vor langer Zeit aufgehört, Kritiken zu schreiben, vor allem über deutsche Filmem, denn wenn man selber welche macht, sollte man nicht über andere schreiben, daher will ich hier nicht viele Worte verlieren, aber eins muß ich loswerden, das hat nämlich nur bedingt mit dem spezifischen Film zu tun, sondern ist ein generelles Phänomen, und zwar: Die Darstellung von Jugendlichen mit Migrationshintergrund. Vielleicht bin das nur ich, aber ich fand schon mit 16 das Brüllaffen-Testosteron-Gehabe meiner Altersgenossen schwer erträglich, und ich habe wenig Lust, mir das in Breitwand und Surround wieder anzutun, nachdem ich die Schulhöfe, auf denen es stattfand, einige Jahrzehnte hinter mir gelassen habe. Ich möchte bitte keine weitere Minute in Gesellschaft dieser bekloppten Vollhonks verbringen, das ist so ungefähr die emotionale Spontanreaktion bei einer gewissen Sorte Film. Dann fällt mir ein, wie ich vor einigen Tagen am Rand des Regie-Panel-Tages zwei Frauen von einem Verein begegnete, der Jugendliche aus der Unterschicht zum Film vermittelt (ich verwende bewußt kein beschönigendes Wort für “Unterschicht”, denn diese Verschleierung der Herrschaftsverhältnisse dient ja auch nur den Interessen der herrschenden Klasse), die hatten einige ihrer Schützlinge mitgebracht, da standen vier oder fünf junge Männer mit schwarzen Haaren, die mir ein wenig verlegen und sehr höflich und respektvoll die Hand reichten und in die Augen schauten. Warum, denke ich mir da auf einmal, gibt es für euch in Filmen eigentlich IMMER nur diese Krawalldeppenrollen? Warum zwingt die Gesellschaft euch, dieses Bild von euch selbst zu produzieren und immer weiter zu perpetuieren? Was ist das Interesse der oberen Mittelschicht, die ja überwiegend die Filmfestivals mit Inhalt befüllt, kuratiert und besucht, sich immer wieder dieses Schreckensbild von euch zu machen? Und können wir das vielleicht mal irgendwie anders aufziehen, Folks and Kupferstechers?
Und jetzt die antiklimaktische Pointe: Die Frau von diesem Verein hat mir eine Visitenkarte gegeben, aber die finde ich jetzt nirgends mehr. Falls sie dies liest, möge sie mir bitte schreiben, wir drehen im Frühjahr einen “Tatort” und vielleicht geht da was, denn das Thema liegt mir wirklich am Herzen.* Einen Abend später treffe ich dann meine türkische Lieblingstante Sema Poyraz. Wir haben vor 17 Jahren miteinander gedreht, in der damaligen Serie war sie zwar keine türkische, sondern eine indische Tante, aber seitdem bezeichnet sie sich selbst immer so. Sema hat in den frühen 70ern an der DFFB studiert, ist dann an die Schauspielerei geraten, sie ist die gute Seele von jedem Raum, den sie betritt, wir haben uns einige Zeit nicht gesehen, und dieses Wiedersehen inspiriert in mir eine Filmidee: Ich möchte das Leben von Angela Merkel verfilmen. Als öffentlich-rechtlichen Dreiteiler. Titel: “Merkel – die Mutter der Macht” oder sowas. Und in der Hauptrolle: Sema Poyraz. Das wäre mir ein innerer Reichsparteitag.
Den anderen Zeit-Verbrechen-Film fand ich übrigens gut. Es scheint mir außerdem die nächste Generation des flashigen Filmemachens zu sein, die da auf die Bühne klettert, dem Publikum den Hintern zuwendet und sich dann in die Reihe einreiht. Nach Wackel-DV (00er Jahre) und Impro (10er Jahre) ist es jetzt eine gewisse hochglänzend-quietschbunte ADHS-Gleichzeitigkeit des gesamten Weltgeschehens, die der stilprägende Flaggschiff-Film dieser Richtung, “Everything Everywhere All At Once”, bereits im Titel trägt. Aber ich bin ja wie gesagt kein Filmkritiker, ich bin Klatschkolumnist, also raus aus dem Kino und dorthin, wo die Magic auf der Berlinale vor allem passiert: Parties. Genauer gesagt: DIE Party. Die einzig wahre Party. Die sogenannte “Off-Berlinale”. Die ist legendär und geheimnisumwölkt. Daher an dieser Stelle: Cliffhanger. Davon erzähle ich morgen. Oder vielleicht ist die Party sogar so fett, dass ich erst übermorgen wieder in der Lage bin, mehr als zwei Sätze aufzuschreiben. Stay tuned. Love.
*
Ich mach den Kram hier schon ziemlich lang, ich bin steinalt, ich hab alles gesehen. Seit ich mich erinnern kann, sitze ich in Festivalkinosälen und gucke Nachwuchsfilme. Da gibt es alle paar Jahre so eine Welle, da tritt jedesmal eine neue Generation an und rebelliert mit flashiger Optik und knalligem Soundtrack gegen die in Routine versackten alten Säcke. Zwanzig Jahre später sind die Rebellen von damals selber auf dem Weg zum alten Sack und drehen Soko Solingen, aber das ist der Lauf der Welt, who am I to judge. Als ich Ende 20 war, da hieß das angesagte Ding “Mini-DV-Wackelhandkamera”, in meinem unmittelbaren Umfeld entstanden No-Budget-Mini-DV-Wackelfilme, die dann explosive Hypes auslösten und Preise im oberen zweistelligen Bereich gewannen. Ich hatte damals nicht so Lust auf Mini-DV-Wackelhandkamera, also machte ich stattdessen einen Film aus zehnminütigen festen Einstellungen. Der Hype hielt sich in Grenzen. Aber vielleicht mache ich dafür mit 50 einen fiebrig-flashigen Film voller Jump Cuts über 19jährige, die sich im Nightlife das Hirn wegballern, und dann 30 Jahre später, mit 80, lege ich noch einen drauf und mache eine Orgie aus Halbsekundenschnitten über polytoxikomane 10jährige, ausschließlich mit Stroboskopblitzen beleuchtet, 82 gnadenlose Minuten lang. Aber ich schweife ab, ich wollte eigentlich was ganz anderes sagen, nämlich: In all diesen Jahren sind die Nachwüchse gekommen und gegangen, aber eins hat sich nie geändert, und zwar die Asynchronität der Bühnenauftritte. Typischerweise steht ein*e Filmemachende*r auf der Bühne und sagt: In der Rolle der Lina Luhmann bitte einen riesengroßen Applaus für die wunderbare Luna Lehmann! Daraufhin steht die wunderbare Luna Lehmann irgendwo im Saal auf und begibt sich gemessenen Schrittes zur Bühne, doch als sie dort ankommt, hat die Person auf der Bühne bereits fünf weitere wunderbare Menschen aufgerufen, also begegnen sich da auch die wunderbare Lena Lohmann, die wunderbare Julina Jacobs, die wunderbare Lilja Schulzinger und die wunderbare Agathe Bauer, außerdem die wunderbare Debütredakteurin und der wunderbare Music Supervisor, und man hat keine Chance, herauszufinden, wer wer ist, denn hinzu kommt, dass all diese wunderbaren Menschen beim Erklimmen der Bühne dem Publikum überwiegend das Hinterteil zuwenden. Am Ende stehen sie dann in einer langen Reihe auf der Bühne und schweigen vor sich hin, während die moderierende Person die regieführende fragt, wie die Arbeit mit der wunderbaren Kamerafrau war.
Man verstehe mich nicht falsch: Ich wüßte wirklich gern, wer wer ist. Man hört und sieht ja immer wieder tolle Sachen, und natürlich will ich dann wissen, wer die dazugehörigen Menschen sind, aber so habe ich wenig Chancen, es herauszufinden. Wenn der wunderbare Lars Eidinger auf die Bühne käme, dann würde ich den selbstverständlich auch von hinten erkennen, aber vielleicht verbirgt sich da irgendwo der wunderbare Lars Eidinger von morgen, und das muß man ja erstmal herausfinden.
Was mir außerdem noch einfällt: Man kann ja in Mitte oder Neukölln ohne Englischkenntnisse noch nicht mal mehr eine Tasse Kakao bestellen, aber kann mal bitte jemand den Berlinale-Conferenciers verraten, dass der englische Ausdruck für “Filmteam” nicht “film team” lautet, sondern “cast and crew”? Gern auch “the wonderful cast and crew”, wenn man der Meinung ist, dass die in der Mehrzahl wunderbar sind.
Wunderbar ist übrigens auch der Film, den ich gestern noch gesehen habe. Im Katalog steht: Sprengt die Grenzen der Vorstellungskraft, er ist gleichzeitig sehr realistisch im Stil und völlig surreal in seinem Konzept, und er zeigt, dass sogar die menschliche Mimik verzichtbar ist, will man Mitgefühl, Lachen oder Tränen hervorrufen. Es ist wie immer bei Berlinale-Katalogtexten: Ich habe überhaupt keine Ahnung, was mich da erwartet. “Sasquatch Sunset”, so heißt der Film, entpuppt sich dann als eine Art Mittelding aus 70er-Jahre-Actiontheater und bekifftem Teenagerwitz. Menschen in haarigen Affenkostümen laufen durch den Wald, popeln in der Nase, machen allerhand Blödsinn und begegnen schließlich den Spuren der Zivilisation. Es ist ein bißchen so, als wäre in “2001” der Monolith nie aufgetaucht und die Anfangssequenz einfach 90 Minuten weitergangen, nur mit mehr Spaß. Die Landschaftsaufnahmen sind majestätisch, die Musik ist gut, die SFX-Maske und die Kostüme sind erstaunlich professionell, und bei aller Quatschigkeit hat der Film einen gewissen ernsten Kern. Am Ende erfährt man dann, was man schon wußte, aber wieder vergessen hatte: In einem der Kostüme steckt Jesse Eisenberg, vor zehn Jahren noch als Facebook-Gründer in “The Social Network”, jetzt als Affenmensch unter Mammutbäumen, ist das ein Auf- oder Abstieg, ich bin mir nicht sicher. Unprofessionell erscheinen mir vor allem die Lautäußerungen der titelgebenden Viecher, die bestehen nur aus einem einzigen Laut, der so klingt wie ein ausgesprochenes Gendersternchen, also der berühmte “Glottisschlag” vor “-innen”. Die Sasquatche laufen also 88 Minuten lang durch den Film und sagen immer nur “*, *, *”, und ich freue mich, dass solche Kinoerlebnisse auf der Berlinale noch möglich sind. Ich freue mich allerdings auch, dass wir eine Flasche Rotwein in den Saal geschmuggelt haben.
Einen Tag später dann zwei Folgen “Zeit Verbrechen”. Der Erfolgspodcast wurde verfilmt, und zwar für den Streaminganbieter Paramount+, der dann aber im Zuge eines “Strategiewechsels” beschlossen hat, das fertige Werk doch nicht zu veröffentlichen. Die ganze Branche schüttelt die Köpfe, man kann ja über ARD und ZDF viel sagen, aber so etwas haben sie sich bisher meines Wissens noch nicht geleistet. Was genau mit den Filmen passieren soll, ist unklar, vielleicht werden sie nach dieser Berlinale nie wieder zu sehen sein, also einmalige Gelegenheit, nix wie hin. Ich habe vor langer Zeit aufgehört, Kritiken zu schreiben, vor allem über deutsche Filmem, denn wenn man selber welche macht, sollte man nicht über andere schreiben, daher will ich hier nicht viele Worte verlieren, aber eins muß ich loswerden, das hat nämlich nur bedingt mit dem spezifischen Film zu tun, sondern ist ein generelles Phänomen, und zwar: Die Darstellung von Jugendlichen mit Migrationshintergrund. Vielleicht bin das nur ich, aber ich fand schon mit 16 das Brüllaffen-Testosteron-Gehabe meiner Altersgenossen schwer erträglich, und ich habe wenig Lust, mir das in Breitwand und Surround wieder anzutun, nachdem ich die Schulhöfe, auf denen es stattfand, einige Jahrzehnte hinter mir gelassen habe. Ich möchte bitte keine weitere Minute in Gesellschaft dieser bekloppten Vollhonks verbringen, das ist so ungefähr die emotionale Spontanreaktion bei einer gewissen Sorte Film. Dann fällt mir ein, wie ich vor einigen Tagen am Rand des Regie-Panel-Tages zwei Frauen von einem Verein begegnete, der Jugendliche aus der Unterschicht zum Film vermittelt (ich verwende bewußt kein beschönigendes Wort für “Unterschicht”, denn diese Verschleierung der Herrschaftsverhältnisse dient ja auch nur den Interessen der herrschenden Klasse), die hatten einige ihrer Schützlinge mitgebracht, da standen vier oder fünf junge Männer mit schwarzen Haaren, die mir ein wenig verlegen und sehr höflich und respektvoll die Hand reichten und in die Augen schauten. Warum, denke ich mir da auf einmal, gibt es für euch in Filmen eigentlich IMMER nur diese Krawalldeppenrollen? Warum zwingt die Gesellschaft euch, dieses Bild von euch selbst zu produzieren und immer weiter zu perpetuieren? Was ist das Interesse der oberen Mittelschicht, die ja überwiegend die Filmfestivals mit Inhalt befüllt, kuratiert und besucht, sich immer wieder dieses Schreckensbild von euch zu machen? Und können wir das vielleicht mal irgendwie anders aufziehen, Folks and Kupferstechers?
Und jetzt die antiklimaktische Pointe: Die Frau von diesem Verein hat mir eine Visitenkarte gegeben, aber die finde ich jetzt nirgends mehr. Falls sie dies liest, möge sie mir bitte schreiben*, wir drehen im Frühjahr einen “Tatort” und vielleicht geht da was, denn das Thema liegt mir wirklich am Herzen. Einen Abend später treffe ich dann meine türkische Lieblingstante Sema Poyraz. Wir haben vor 17 Jahren miteinander gedreht, in der damaligen Serie war sie zwar keine türkische, sondern eine indische Tante, aber seitdem bezeichnet sie sich selbst immer so. Sema hat in den frühen 70ern an der DFFB studiert, ist dann an die Schauspielerei geraten, sie ist die gute Seele von jedem Raum, den sie betritt, wir haben uns einige Zeit nicht gesehen, und dieses Wiedersehen inspiriert in mir eine Filmidee: Ich möchte das Leben von Angela Merkel verfilmen. Als öffentlich-rechtlichen Dreiteiler. Titel: “Merkel – die Mutter der Macht” oder sowas. Und in der Hauptrolle: Sema Poyraz. Das wäre mir ein innerer Reichsparteitag.
Den anderen Zeit-Verbrechen-Film fand ich übrigens gut. Es scheint mir außerdem die nächste Generation des flashigen Filmemachens zu sein, die da auf die Bühne klettert, dem Publikum den Hintern zuwendet und sich dann in die Reihe einreiht. Nach Wackel-DV (00er Jahre) und Impro (10er Jahre) ist es jetzt eine gewisse hochglänzend-quietschbunte ADHS-Gleichzeitigkeit des gesamten Weltgeschehens, die der stilprägende Flaggschiff-Film dieser Richtung, “Everything Everywhere All At Once”, bereits im Titel trägt. Aber ich bin ja wie gesagt kein Filmkritiker, ich bin Klatschkolumnist, also raus aus dem Kino und dorthin, wo die Magic auf der Berlinale vor allem passiert: Parties. Genauer gesagt: DIE Party. Die einzig wahre Party. Die sogenannte “Off-Berlinale”. Die ist legendär und geheimnisumwölkt. Daher an dieser Stelle: Cliffhanger. Davon erzähle ich morgen. Oder vielleicht ist die Party sogar so fett, dass ich erst übermorgen wieder in der Lage bin, mehr als zwei Sätze aufzuschreiben. Stay tuned. Love.
*(Nachtrag: Es hat funktioniert! Hier wäre der erwähnte Verein.)
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