Berlinale, Tag 1

Vor einigen Jahren erfand ich mich als Berlinale-Klatschkolumnistin neu. Vorausgegangen war ein Moment des Zweifels, ob es eigentlich irgendeinen Sinn hat, jedes Jahr auf die Berlinale zu gehen, sich dort ungeheuer viele Filme anzuschauen, die man zumeist schnell wieder vergessen hat, und Gespräche zu führen, für die das gleiche gilt. Also beschloß ich, darüber zu schreiben. Einige Jahre lang bereitete mir das große Freude, dann kam eine merkwürdige Massenhysterie, und ich tat das, was ich schon immer getan hatte: Ich sagte meine Meinung. Der Rest ist, wie man so sagt, Geschichte, und je länger sie zurückliegt, desto lustiger finde ich sie. Jetzt gehe ich nach vier Jahren Pause mal wieder auf die Berlinale und hole hiermit auch meinen Berlinale-Blog aus der Versenkung.

Meine letzte Berlinale war 2020, da ist man der Pandemie gerade noch so von der Schippe gesprungen, es wurde schon Klopapier gehamstert und von Masken gemunkelt, und ich war sauer, man hatte nämlich meinen Film “Nö” abgelehnt. Diese Ablehnung war sozusagen die erste Amtshandlung des damals noch recht neuen Festivaldirektors Carlo Chatrian gewesen, sie war uns schon im Sommer 2019 durch irgendeinen untergeordneten Angestellten mitgeteilt worden, und dass ich das hier so verkünde, ist auch schon wieder ein Tabubruch, denn sowas macht man anscheinend irgendwie nicht, zumindest macht es sonst niemand.

Vorausgegangen waren lange Jahre unter Direktor Dieter Kosslick, der glühende Verehrer und ebensolche Feinde hatte. Ich hatte nichts gegen ihn, ich kannte ihn aber auch kaum. Andere Festivalleiter lernt man kennen und kennt sie dann, oft mag man sie auch, man kann mit ihnen eine lustige Zeit haben, sich über Filme und Gott und die Welt austauschen, sie versprühen Enthusiasmus, Offenheit und Neugier. Kann sein, dass Dieter Kosslick das auch versprüht hat, aber wenn, dann nicht in meine Richtung. Meine einzige Interaktion mit ihm blieb ein Handschlag auf dem roten Teppich bei der Premiere von “Kreuzweg” und vermutlich dann noch einer bei der Preisverleihung, aber daran kann ich mich nicht erinnern, da hatte ich Fieber und hätte ins Bett gehört, was sehr schade war. Danach hatte ich endgültig die Schnauze voll von der Berliner-Winter-Berlinale-Grippe, da wurde eine Sauna angeschafft und regelmäßig benutzt samt Eisbad hinterher und kalter Dusche morgens, seitdem ist Kranksein kein Thema mehr, aber das ist eine andere Geschichte, und deswegen hatte ich auch von Anfang an nicht so wahnsinnige Angst vor Corona, aber auch das ist eine andere Geschichte. Als sich Kosslicks Amtszeit jedenfalls dem Ende entgegenneigte, da mußte man sich unwillkürlich an einige schlimme Bauchlandungen erinnern, die die Berliner Kulturpolitik in Personalentscheidungen hingelegt hatte, beispielsweise beim DFFB-Direktor und bei der Volksbühne, wo in obskuren Hinterzimmerentscheidungen Böcke zu Gärtnern gemacht wurden, um gleich darauf spektakulär zu scheitern, also tat ich mich mit einem Regiekollegen zusammen, und wir starteten eine Petition, die sich nicht so sehr gegen Kosslick richtete, sondern vor allem die Politik auffordern wollte, ein anständiges Verfahren zu machen, und die am Ende an die 80 Unterschriften hatte. Das gab dann aber großes Geflatter und Geschrei, Kosslick fühlte sich anscheinend angegriffen und soll diverse Leute angerufen haben, das sind aber nur Gerüchte, mich hat er nicht angerufen, vielleicht haben wir einfach nicht so einen Draht. Die dreiköpfige Findungskommission fand dann in Gestalt von Mariette Rissenbeek sich selbst, außerdem erwählte sie Carlo Chatrian, und als der seinen Job antrat, dachte ich mir: Hey, vielleicht habe ich zu dem ja einen besseren Draht als zu Dieter Kosslick, eigentlich mag ich Festivalleute doch oft sehr gern, beispielsweise die aus München oder Karlovy Vary oder Jerusalem oder Palič in Serbien oder sonstwo, also schrieb ich ihm und regte einen gemeinsamen Kaffee an. Nach holpriger Terminfindung trafen wir uns dann morgens um neun in einem Kreuzberger Café, er hatte 40 Minuten, und leider hatten wir auch keinen so richtigen Draht. Ich meine mich zu erinnern, dass ich den einen oder anderen Scherz versucht habe, wie man das halt gemeinhin so macht, aber dieses Phänomen, das die Hirnforscher “Resonanz” nennen, wollte sich nicht einstellen. Ein paar Monate später wurde dann unser Film abgelehnt, was ich sehr bedauerlich fand, und damit begebe ich mich auf dünnes Eis, denn Anpreisung der eigenen Werke samt Eingeschnapptsein, wenn die irgendwo auf Ablehnung stoßen, ist natürlich ein schimmer Fauxpas, aber ich preise hier ja gar nichts an, ich versuche es mal umgekehrt: Ich habe auf der Berlinale schon derart viele unerfreuliche Filme gesehen, da wäre mein Werk im Jahr 2019 vermutlich nicht besonders negativ aufgefallen.

Jetzt ist Carlo Chatrian auch schon wieder Geschichte, offenbar hat er seinen Job anders interpretiert, als das von der Politik gewünscht war, und als ein offener Brief zu seiner Unterstützung herumging, habe ich den natürlich nicht unterzeichnet, ich dachte kurz darüber nach, aber irgendwie ging es nicht. Das Problem sind aber nicht einzelne Enscheidungen oder einzelne Leute, sondern das ganze System der Festivals, das man meiner Meinung nach gar nicht scharf genug kritisieren kann. Das englische Wort für “Einreichung” lautet Submission, es bedeutet außerdem auch “Unterwerfung”, und das ist kein Zufall. Man unterwirft sich einem Hofstaat aus Hofschranzen. Alle schauen nur noch auf Rangordnungen, Hackordnungen, Wettbewerbe, Nebenreihen, Preise, Jurys, Gremien, Shortlists, Longlists, A-Festivals, Förderentscheidungen, Stoffentwicklungs-Labs und so weiter und so weiter. Jedes Gespräch auf jedem Empfang irgendwo in Tallinn oder Toronto oder sonstwo klingt ungefähr gleich: Wir haben XYZ eingereicht, hoffen aber auch noch auf ABCDE, dann gibt es noch CCC und BBB, wir waren in Cannes so kurz davor, setzen aber sonst auf Telluride oder Sundance, wir haben hier diese lobende Erwähnung und da diesen Preis, der Gewinner aus Venedig ist “amazing” und “passionate” und “daring” und “boring”, ach nein, sorry, “boring” sagt natürlich niemand, obwohl es das zutreffendste wäre. Natürlich tut man so, als stünde man darüber, und niemals würde man einfach so verkünden, wo man abgelehnt wurde und wie doof man den ganzen Laden findet, aber in Wahrheit ist man von krampfhaftem Ehrgeiz durchdrungen und muß das leider auch sein, denn beim Film hängt leider die Produktion direkt am Erfolg. Als Schriftsteller oder Komponist kann ich völlig erfolglos sein und trotzdem genau die Werke produzieren, die ich produzieren will. Beim Film geht das leider nicht. Erfolg schafft überhaupt erst die Gelegenheit zum nächsten Werk, und der Erfolg bemißt sich darin, in diesem unerfreulichen Hofschranzensystem möglichst weit nach oben zu kommen, und das begünstigt eben Persönlichkeitsstrukturen, die genau darin gut sind. Jahrelang stand ich neben solchen Gesprächen, wollte mich vor Langeweile an meinem Festival-Badge-Bändchen irgendwo aufhängen und dachte: Ihr seid doch die Künstler, die Freigeister, die Hochseilartisten, ihr solltet euch über diesen ganzen Zirkus totlachen, aber ihr steht hier wie Höflinge und Kleingartenvereinsmeier, die sich darüber auslassen, wer am nächsten beim König sitzt und welcher Punkt in der Satzung wie geändert werden sollte! Ich möchte euch packen und schütteln! Doch dann fiel mir auf: Nein, ihr seid gar keine Künstler und Freigeister, ihr seid hier genau richtig. Die Künstler und Freigeister, die findet man durchaus auch, aber oft sind sie gar keine Regisseure, sondern Produzenten oder Kameraleute oder Festivalleiter, und damit schließt sich ein Kreis. Jedenfalls ist mir mittlerweile alles egal. Ich sage, was ich denke, und ich möchte bitte, dass möglichst offen und öffentlich diskutiert wird, wer was wo abgelehnt hat, und außerdem möchte ich, dass dieses ganze System abgeschafft und durch was besseres ersetzt wird. Man stelle sich vor, in Woodstock wären am Ende Preise für “Best Male Vocal Performance” oder sowas vergeben worden. How much not Rock’n’Roll can you be.

Über die diesjährige Berlinale habe ich jetzt bisher gar nichts geschrieben und bitte vielmals um Verzeihung. Zur Eröffnung war ich diesmal nicht eingeladen, was mir das Nachdenken erspart hat, ob ich hingehen soll, denn Eröffnungsfilme sind traditionell schlecht (und wenn sie doch mal gut sind, so wie “Hail Caesar”, dann mäkelt das Publikum). Den ganzen Papierstapel samt Festivaltasche, den man früher überreicht bekam, gibt es nicht mehr. Das finde ich eine erfreuliche Neuerung. Schon vor vielen Jahren habe ich nach kurzem Nachdenken zehn Jahrgänge kiloschwere Berlinale-Kataloge aus meinem Regal entfernt und entsorgt. In den Büroräumen, die ich mir mit Freunden teile, liegt auf dem Klo noch ein Berlinale-Katalog von ca. 2012, manchmal blättert man ihn durch, und es ist eine Lektion in Demut. Ein serbischer Filmproduzent, mit dem ich sehr gut befreundet bin, erzählte mir gestern abend, dass er sämtliche Festivalkataloge einem befreundeten Bauern gibt, der sie als Brennmaterial zur Herstellung von Rakija verwendet. Sie brennen wohl nicht gut, aber trotzdem schließt sich da ein weiterer Kreis, damit wären für heute genug Kreise geschlossen, ich verabschiede mich und gehe jetzt wieder in den Festivalzirkus. Macht ja doch auch irgendwie Spaß.

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