Berlinale, Tag 2: Landesvertretungslichthofgeschrei

Die Berlinale beginnt für mich in der Vertretung des Landes Rheinland-Pfalz beim Bund. Alle Bundesländer betreiben in der Hauptstadt prächtige Repräsentationsbauten, die genausogut die Botschaft eines mittelgroßen Staates sein könnten. Da findet man schwindelerregende Lichthöfe, majestätische Freitreppen und urige Kellergewölbe, in denen zu später Stunde der jeweils regional bedeutsame Alkohol ausgeschenkt wird. Hier lädt der Drehbuchautorenverband zur Drehbuchpreisverleihung, da spielen wir ein paar Lieder und treiben Schabernack mit der Papp-Lola, die dekorativ auf der Bühne steht. Danach ist das, was danach immer ist, nämlich Geschrei. Der mittlere Lärmpegel eines beliebigen Berlinale-Empfangs ist ungefähr so wie auf einem Rockkonzert, das permanent von startenden Düsenjägern gestört wird. Perfiderweise ist ein Jahr genau genug Zeit, um das zu vergessen, weil das Gehirn sich ja in der Erinnerung eine rosa Brille aufsetzt, weil ja sonst das Leben zu traurig wäre, also denkt man sich nur: Och ja, zwei bis drei nette Leute, ein bis zwei anregende Gespräch, also geht man hin, rennt in eine Wand aus Radau und denkt: Scheiße, stimmt, das hatte ich vergessen, war letztes Jahr genauso.

Das liegt aber auch daran, daß den Architekten, Bauherren und Wirten seit einiger Zeit die Akustik egal ist, weil sie lieber visuelle Beeindruckungsräume mit langen Sichtachsen wollen, und wenn man sich dann da anschreien muß, steigert das im Zweifelsfall den Getränkeumsatz. Ich glaube, so funktioniert das „Grill Royal“ und das „Borchardt“, deswegen gehe ich da auch nur hin, wenn ich mich anschreien lassen will. Ganz schlimm ist es, wenn Amerikaner im Raum sind, denn die sind schon in leisen Räumen oft sehr laut, das ist jetzt kein dummes Vorurteil, sondern vielfach erlebte Erfahrung, aber zum Glück sind auf Berlinale-Empfängen die Deutschen meist unter sich, sonst wäre es unerträglich. Andererseits wäre es mit Amerikanern lustiger, denn die Deutschen sind im Schnitt nicht besonders lustig, auch das ist ein bewährtes Klischee, das leider stets aufs neue durch Fakten untermauert wird. Das heißt natürlich nicht, daß es überhaupt keine lustigen Deutschen gäbe, aber das passiert einem ja sowieso ständig, daß man eine statistische Wahrscheinlichkeit feststellt und dann empörten Protest erntet, weil die Leute denken, man hätte die Existenz von irgendetwas rundheraus bestritten. Da ergibt sich dann immer ungefähr folgender Dialog:
– Tomaten sind meistens rot.
– Das stimmt doch gar nicht! Was redest du denn da! Es gibt auch grüne Tomaten!
– Völlig richtig, genau wie leise Amerikaner und lustige Deutsche. Das sind sogar jeweils die interessantesten. Ein lustiger Deutscher, eine leise Amerikanerin und eine grüne Tomate könnten zusammen eine wirklich tolle Zeit haben.

Ich schweife ab. Wir spielen drei Songs auf der Drehbuchpreisverleihung, einer davon heißt „Mama, schick mir die Platten von Reinhard Mey“ und handelt von einem untergegangenen Land, das nur noch in der Erinnerungen lebt (sowie seltsamerweise in der Tapeten-Ästhetik vieler deutscher Filme), nämlich der guten alten Tante BRD mit ihrer Hauptstadt Bonn und ihren Kanzlern, die immer Helmut hießen. Ich fände es schön, wenn dieses Land auch eine Vertretung beim Bund hätte. Das wäre dann so ein sachlicher 70er-Jahre-Waschbetonklotz, direkt am Tiergarten, innen drin grün gekachelte Badezimmer und hinten ein Freibad mit Dreimeterbrett und Rutsche, am Empfang sitzen Rita Süßmuth und Klaus Kinkel, und wenn man reingeht und sich als Besucher anmelden will, dann blättern sie umständlich in der Liste und schütteln dann bedauernd den Kopf, denn hier war schon seit 30 Jahren niemand mehr.

Ich schweife schon wieder ab, ich wollte ja eigentlich von der Berlinale erzählen und nicht mit nostalgischem Hundeblick in die eigene Kindheit gucken, das macht meine Generation sowieso schon genug. Da blicke ich lieber hoffnungsvoll in die Zukunft und wünsche mir, daß Julian Radlmaier sein heute hier prämiertes Drehbuch bald verfilmt kriegt, denn sein erster Film war wirklich lustig, und das fiel mir auf, denn siehe oben.

Was mir währenddessen entgeht, ist der Empfang der Deutschen Filmakademie, die mich netterweise immer einlädt, obwohl ich ihr so ablehnend gegenüberstehe wie sie meinen Filmen. Später wird mir berichtet, dort habe es Brötchen gegeben, auf denen enorme Mengen an Zwiebeln lagen, so daß jedes Gespräch in einer ungeheuren Zwiebelfahne stattfand. Das war vemutlich die verzweifelte Notwehraktion eines Caterers, der sein gesamtes Berufsleben auf dröhnend lauten Empfängen in halligen Hallen mit nackten Wänden verbringen mußte, jetzt von Tinnitus und Hörsturz geplagt ist und in seinem Gehirn nur noch einen Gedanken hat: Haltet doch bitte alle mal die Fresse, ich tue euch jetzt solche Massen an Zwiebeln aufs Brot, daß ihr den ganzen Abend den Mund nicht mehr aufmachen könnt, ohne euch in Grund und Boden zu schämen. Die Idee, daß die gesamte Deutsche Filmakademie schweigend auf ihrem eigenen Empfang herumsteht und niemand den Mund aufmacht, weil alle eine enorme Zwiebelfahne haben, finde ich wahnsinnig lustig, aber so wird es vermutlich nicht gewesen sein, denn diese verzweifelten Notwehraktion hauen ja nie hin, sondern immer nur daneben.

Später am Abend gehe ich zur „Blue Hour“, dem Empfang der ARD, da steht eine riesengroße Wand aus Herden des Herstellers Miele. Die Mehrzahl von „Herd“ sieht irgendwie merkwürdig aus, denn Herde treten kaum je im Plural auf, allenfalls vielleicht in den Küchen von schwerreichen Tatort-Ermittler-Schauspielern, die nebenher ihr vertrauenerweckendes Ermittler-Image in Werbungen für Banken kapitalisieren, die haben vielleicht herdenweise Herde in ihren Küchen, sonst niemand, aber hier steht eine ganze Wand von Herden über- und nebeneinander, so wie Gitarrenverstärker bei einer 70er-Jahre-Rockband. Der Herd heißt hier auch nicht mehr „Herd“, nein, es ist der „Miele Dialoggarer“. Wollte ich einen platten Scherz machen, dann würde ich da mal ein Drehbuch mit halbgaren Dialogen in den Ofen schieben und nach einer Stunde gucken, was herauskommt. Bei dieser zwölffachen Herd-Batterie könnte man fast die gesamte Jahresdrehbuchproduktion an ARD-Dialogen hier ordentlich durchgaren. Das ist andererseits aber doch ein Witz wie aus einem ARD-Drehbuch, da reite ich jetzt nicht weiter darauf herum.

Dazwischen, also nach dem Drehbuchpreis, aber vor dem Dialoggarer, war ich noch woanders, da gab es auch extrem krasse Knoblauchbomben und direkt danach ein knallhartes Streitgespräch. Wie das verlief und worum es da ging, das werde ich morgen verkünden oder auch heute abend, denn ich hänge schon wieder etwas hinterher

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