– Das war scheiße von dir, sowas macht man nicht, das verzeihe ich dir nicht!
– Macht nichts, ich habe dich ja auch gar nicht um Verzeihung gebeten.
Kann ein Streitgespräch, das so anfängt, versöhnlich enden? Oder wird es in eine Schlägerei ausarten?
Falls es eine Schlägerei wird, sollte man vorher ausholen.
Also: Als wir im Herbst 2016 den „Stau“-Tatort drehten, da stand unser Set in einer riesengroßen Messehalle. In der benachbarten Halle war normaler Messehallenbetrieb, und irgendwann dachte ich mir nach Drehschluß: Mal gucken, was da so los ist. In der Halle war eine Kleintierzüchter-Leistungsschau, da standen lange Reihen von Käfigen mit Kaninchen, aber das waren nicht diese niedlichen kleinen Kaninchen, die durch Berliner Parks hoppeln, sondern riesige Viecher, jedes so groß wie ein zweijähriges Kind, und die meisten von ihnen sahen seltsam aus. Man kennt das von der Hundezucht: Wenn ein Schäfer einen Schäferhund braucht, denn geht er zum Züchter und holt sich einen Hund, der schlau ist und schnell rennen kann. Wenn hingegen Hundezüchter um des Hundezüchtens willen Hunde züchten, dann gibt es da einen Verband, der festschreibt, wie ein Schäferhund auszusehen hat: Die Rückenlinie soll im Winkel von 17° abfallend sein, die Zunge in diesem und jenem Winkel aus dem Maul hängen und so weiter. Bei den entsprechenden Tierzüchtertreffen gibt es dann Jurys, die den Hund prämieren, der am diesem Standard am ehesten entspricht. Das sind dann oft Schäferhunde, die kaum laufen können, oder Katzen, die aussehen wie Möpse, oder Goldfische, die sich in ihrer riesengroßen Schwanzflosse verheddern, aber man hat sich nun mal darauf geeinigt, daß der ideale Goldfisch so auszusehen hat, also wird er so gezüchtet. Insider kennen sich aus und können stundenlang die ideale Schäferhundrückenlinie diskutieren, der Laie steht ratlos daneben, und der Schäfer, der seinen Hund (oder seinen Goldfisch) zum Arbeiten braucht, holt ihn sich woanders.
Filmfestivals funktionieren so ähnlich. Über die Jahre hat sich ein gewisser Standard ergeben, wie ein künstlerisch wertvoller Film auszusehen hat. Anders als beim Schäferhund ist dieser Standard nirgends festgeschrieben, er kann sich auch mal ändern, aber trotzdem gibt es ihn. Gut ist erstmal alles, was sich vom kommerziellen Kino abhebt. Letzteres ist meist bunt, schnell, lustig und setzt auf Spektakel und Überwältigung, also nehmen wir das Gegenteil davon und zeigen entsättigte, langsame, ernste und ereignisarme Filme. Der riesengroße Vorteil ist hier, daß man diese Eigenschaften sehr einfach feststellen kann, anders als subtilere Qualitäten wie gut und schlecht, die sich der Messung eher entziehen. Die Auswahl wird dadurch einfacher und leichter zu evaluieren, das Festival wird also effizienter. Der riesengroße Nachteil ist, daß diese Eigenschaften sehr leicht herzustellen sind. Die Jury prämiert die Katze mit der kürzesten Mopsnase bzw. den Film, in dem am wenigsten passiert, also ist es nur logisch und vernünftig, einen Film zu machen, in dem noch weniger passiert, und eine Katze zu züchten, die eine noch kürzere Nase hat. Wenn Gruppen nur noch mit sich selbst kommunizieren, begünstigt das die Entstehung solcher gedanklicher Blasen, die für den Außenstehenden nicht mehr nachvollziehbar sind. Das ist keine sensationelle Erkenntnis, sondern weithin bekannt, aber wenn man die Insassen dieser Blasen darauf hinweist, werden sie sehr sauer. Es ist ja auch kompliziert, denn die Züchter und Filmemacher handeln im besten Gewissen, sie machen ihre Arbeit sorgfältig und gut, dennoch stehen sie in einer Gruppenverabredung, die für die Außenwelt oft rätselhaft bleibt, und am Ende kriegt der Mops kaum Luft, weil man ihm die Nase weggezüchtet hat.
Als ich vor zehn Jahren meine ersten langen Filme plante und machte, da mußte ich kopfschüttelnd mit ansehen, wie die Filmwelt sich über Filme begeisterte, die eine große formale Gemeinsamkeit hatten und die ich meistens sterbenslangweilig fand. Einige waren toll, die meisten nicht. Es wäre mir problemlos möglich gewesen, auch so einen Film herzustellen, die formalen Knöpfe wären sehr leicht zu drücken gewesen, aber ich wollte ja nicht primär Preise gewinnen (sekundär durchaus gern), sondern etwas machen, das für sich selbst steht und funktioniert und sowohl in meinem Kopf als auch in den Köpfen anderer Leute etwas bewegt. Die Tempel der Filmkunst stürmt man damit nicht, das war mir erstmal egal, dann sah ich, wie Jahr für Jahr der Berlinale-Wettbewerb die Ödnis aufs Podest hob, während die eigenwilligen und interessanten Sachen in Nebenreihen oder gar nicht liefen, irgendwann war ich dann sauer, und als ich mal aus einem wirklich unerträglichen Film kam, reichte es mir und ich schrieb einen wütenden Blogtext namens „Fahr zur Hölle, Berliner Schule“, der dann viel durchs Netz ging.
Und damit sind wir wieder in der Gegenwart. Ich stehe in einem Kreuzberger Lokal, ein Weltvertrieb hat zum Umtrunk geladen, übrigens ist „Umtrunk“ ein lustiges Wort, weil man tatsächlich oft das Gefühl hat, daß die Leute sich selbst buchstäblich umtrinken wollen, jedenfalls stehe ich da, es gibt Tapas mit irrsinnig viel Knoblauch, und vor mir steht ein Filmproduzent und beschimpft mich. Ich kann es ihm nicht verdenken, denn er hat den Film produziert, der damals Auslöser für meinen folgenreichen Text war. Trotzdem kann ich mich natürlich nicht einfach widerspruchslos beschimpfen lassen.
– Das war furchtbar! Wir saßen im Auto auf dem Weg zur Premiere, überall hagelt es Verrisse, so etwas macht man nicht!
– Aber mein Text kam doch erst zwei Tage nach der Premiere, an dieser Situation bin ich also wirklich unschuldig.
– Egal, so etwas macht man einfach nicht! Das ist das hinterletzte!
– Mein Text hatte seine Wirkung doch nur dadurch, daß er so oft geteilt wurde. Der stand nicht in irgendeiner Zeitung mit Millionenauflage, sondern auf meiner kleinen Webseite. Den hätte keiner mitgekriegt, wenn er nicht anscheinend sehr vielen Leuten aus der Seele gesprochen hätte. Beschimpf also die Leute, nicht mich.
– Egal, du hast es ja trotzdem gemacht, du hast geschrieben: „Berliner Schule, verrecke“!
– Nein, niemals hätte ich „verrecke“ geschrieben, das wäre übelste Nazisprache, ich habe vielmehr geschrieben: Fahr zur Hölle, und das war eine ganz bewußte Referenz ans Genrekino. Fahr zur Hölle, Gringo oder Django oder sonstwer. Die Berliner Schule macht doch selber gern seziermessermäßig herauspräparierte Genre-Referenzen, außerdem verweist es darauf, daß die ganze Sache letztendlich doch spielerisch zu behandeln ist. Komm, wir trinken einen Schnaps.
– Nee, das kannste vergessen, erzähl doch keinen Blödsinn, unter Kollegen macht man so etwas nicht, sich dermaßen persönlich anzugehen.
– Erstens war das war nicht persönlich, denn ich habe ja nicht geschrieben: Dieser Regisseur ist ein talentloser Depp, sondern es ging um den Film, und darin war es natürlich persönlich, weil Kunst immer persönlich ist, aber da stecken wir alle mit drin. Außerdem: Steht das eigentlich wirklich irgendwo geschrieben, daß eine Krähe der anderen kein Auge aushacken darf? Waren die fruchtbarsten und aufregendsten Zeiten in der Kunst nicht von spektakulären Streitereien begleitet? Saalschlachten bei Aufkommen der Zwölftonmusik und so?
Ich kann seine Antwort hierauf aus dem Gedächtnis nicht mehr exakt wiedergeben, aber sie bewegt sich ungefähr im Kreis des bereits gesagten. Ich versuche zu moderieren und eine gemeinsame Basis herzustellen, indem ich sagte: Wir sind beide in einer subjektiv wahrgenommenen Defensive – ich als damals noch ziemlich kleiner Nachwuchsfilmemacher gegen die Übermacht des Film-Szene-Groupthink, also quasi gegen eine Fachwelt, die Katzen mit Mopsnasen entstehen läßt, und ihr als Protagonisten der Berliner Schule wurdet ja tatsächlich auch genug angefeindet, also stehen wir hier beide in der Defensive und fühlen uns ungerecht attackiert. Laß uns das doch mal auflösen.
An die nun folgende Antwort kann ich mich gut erinnern, denn sie ergab keinerlei Sinn:
– Ach, ich glaube dir kein Wort.
Und das ist dann auch der Moment, in dem mir klar wird, daß ein Gespräch, wenn man es als soziale Prozedur des Austauschs von Gedanken und Eingehen auf die Argumente des Gesprächspartners definiert, hier nicht mehr stattfindet. Also gehen wir nach draußen und klären die Sache handgreiflich. Er hat das höhere Kampfgewicht, aber ich kann schneller wegrennen. Nein, so war es natürlich nicht, ich wandte mich einem neuen Gespräch zu, und zwar mit der Filmemacherin Sonja Heiss, die von manchen Leuten der Berliner Schule zugerechnet wird und deren wunderschöner Film „Hedi Schneider steckt fest“ natürlich in den Berlinale-Wettbewerb gehört hätte, das sagt nicht sie, das sage ich, aber dafür war er halt zu lustig. Sonja würde niemals wütende Blogtexte gegen irgendwas schreiben, dafür ist sie viel zu freundlich und zurückhaltend und im allerbesten Sinne vornehm, ich habe es halt getan und muß jetzt damit leben, daß ich Menschen vor den Kopf gestoßen habe, die ich eigentlich schätze, und wenn mir etwas leid tut, dann ist es natürlich das. Trotzdem sollten Katzen mit Mopsnasen und gehbehinderte Schäferhunde als solche benannt werden, und ich würde es wieder tun, wenn es wieder so wäre. Daß ich danach selber einen extrem entsättigten, ernsten und entschleunigten Film gemacht habe, der dann natürlich im Wettbewerb lief, ist Teil derselben Argumentation, denn gut und schlecht hat mit solchen formalen Eigenschaften natürlich nichts zu tun, und da endet auch die ganze Mopsmetaphorik oder hinkt zumindest wie ein überzüchteter Schäferhund.
Die ganzen Berliner-Schule-Filmemacher sind ja außerdem durchweg kluge und integre Leute mit enormem Wissen und klarer Haltung. Ich mag sie alle sehr, und zum Glück mögen die meisten mich (inzwischen) (hoffentlich) auch. Da steht zum Beispiel Ulrich Köhler, dessen Endzeit-Extravaganz „In My Room“ ich toll fand, und das sage ich ihm auch in aller Ausführlichkeit, denn wenn ich etwas wirklich gut finde, dann muß ich auch zu den Leuten hinrennen und sie loben und preisen. Den Produzenten, der mich da beschimpft, den mag ich übrigens auch gern, obwohl er keinen Schnaps mit mir trinken will.
Nun denn! Genug names gedroppt und auf Empfängen herumgestanden! Bei der Berlinale geht es doch um Filme, nicht um Gespräche auf Empfängen! Erstere können bei letztere tatsächlich sehr stören. Es ist immer wahnsinnig irritierend, wenn hinter dem Gesprächspartner auf einem Monitor in Dauerschleife eine Serie von Filmtrailern läuft. Da muß man dann unwillkürlich immer hinschielen, weil das menschliche Gehirn halt so gebaut ist, daß bunte Bewegung die Aufmerksamkeit anzieht. Die ARD bewirbt auf ihrem Empfang einen Film namens „Die Kinder des Kalauers“. Den würde ich mir sofort anschauen, aber als ich genauer hingucke, heißt er „Die Kinder des Kalifats“. Na gut, das ist natürlich relevanter, das muß sein, denn wir sind ja nicht zu Spaß hier. Morgen gehe ich dann endlich mal ins Kino und gucke mir irgendwas an.
2 Responses to Berlinale, Tag 3 – Die Kinder des Kalauers